Wo ist Westernhagen? (via M Kuhn, Flickr)
Nein, manche Analogien stimmen einfach nicht. Der 9. November ist ein Schicksalstag für Deutschland, doch der 9.11.2007 ist nicht der Tag, an dem Deutschland zum Überwachungsstaat wird. Die Vorratsdatenspeicherung, die der Bundestag heute beschließt, ist nur ein weiterer Baustein im Gesamtgebilde “Ende der Privatsphäre“.
Die entscheidende Linie des Gesetzgebers verläuft vom Großen Lauschangriff (1998), der den Dammbruch beim Schutz der Privatsphäre darstellte, über die heimliche Kontodatenabfrage (vom Bundesverfassungsgericht 2007 bestätigt) bis hin zur jetzigen Datenvorratsspeicherung. Hier wird vor allem interessant sein, ob das Bundesverfassungsgericht, bei dem zahlreiche Klagen eingehen werden, die post-factum-Benachrichtigung der “Abgefragten“ als Verstoß gegen die Informationelle Selbstbestimmung auffasst oder davon ausgeht, dass die Aufklärung kapitaler Verbrechen dieses gesetzlich verbriefte Grundrecht dehnbar macht – ähnlich wie der Schutz der Privatsphäre bereits im Lauschangriffs-Urteil von 2004 stark aufgeweicht wurde. Einmal mehr wird eine solche Verhandlung für das Bundesverfassungsgericht zum Lakmustest werden, ob es nach Gesetz oder Zeitgeist urteilt.
Die entscheidende Strömung in der Bevölkerung hat allerdings in der Tat mit dem 9. November 1989 zu tun: Der Tag, durch den die Freiheit europäisch wurde, bedeutete gleichzeitig den Anfang ihres Endes. In Zeiten des kalten Krieges musste jeder Gesetzgeber mit Widerstand rechnen, wenn er Einschnitte in die Privatsphäre plante (Stichwort Volkszählung): Die Folgen einer Einmischung des Staates in die privaten Belange der Bürger stand deutlich vor Augen, ein Blick nach Osten genügte. Mit dem Ende des Sowjetimperiums fehlte das sichtbare Gegengewicht zur Freiheit des Westens – weil sie sich nun nicht mehr am direkten Vergleichen messen ließ, verlor sie an Wert, der semantische Begriff an Konkretheit – ironischerweise auch dort, wo die Freiheit neu gewonnen wurde.
Dass die durchgesetzten Maßnahmen zur Speicherung persönlicher Daten keinen größeren Aufschrei in der Bevölkerung erzeugen, ist deshalb nur logisch. Freiheit ist inzwischen so selbstverständlich wie Luft zum Atmen: Weil Datenspeicherung und Überwachungsmaßnahmen jedoch nicht stinken oder Krebs verursachen, bleibt ihre Bedrohung in den Augen der Mehrheit vage. Dies liegt nicht nur in den neuen Möglichkeiten, den Einzelnen ohne sein Wissen zu überwachen. Das Problem erhält vor allem dadurch seine Brisanz (und bittere Ironie), dass der unbestimmte Begriff des Terrorismus den Sicherheitsbehörden theoretisch genügend Spielraum lässt, die Feinde der abstrakt gewordenen Freiheit selbst zu definieren.
Mehr zum Thema stets bei Markus Beckedahl.