Teil und Zäsur eines Trends (Foto via Cobalt123, Flickr)
Dies ist ein Interview zu einem Artikel über das verschlossene Erbe der Bush-Administration, das leider auf sueddeutsche.de keinen Platz mehr fand. Weil es dennoch äußerst interessant ist, veröffentliche ich es hier. Die beiden Politikwissenschaftler William Weaver und Robert Pallitto haben die Geheimniskrämerei von US-Präsidenten unter die Lupe genommen. Im Gespräch mit mir ziehen sie ein bemerkenswert erschreckendes Fazit: Die US-Regierung ist kaum mehr kontrollierbar – auch über die Bush-Administration hinaus.
kopfzeiler: Sie beide setzen sich in ihrem Buch “Presidential Secrecy and the Law“ mit den Versuchen amerikanischer Präsidenten auseinander, Teile ihrer Politik geheim zu halten. Hat die Bush-Regierung hier neue Standards gesetzt?
William Weaver: Sie ist eine Zäsur und Teil eines Trends zugleich. Die Rolle, die Geheimhaltung in dieser Administration spielt, ist beispiellos. Aber es ist wie bei einem Erdrutsch: Eine Lawine kommt nicht aus dem Nichts, es müssen erst die passenden Voraussetzungen herrschen. Und die wurden über Jahrzehnte geschaffen.
Robert Pallitto: Nach der Watergate-Affäre sah es Ende der Siebziger so aus, als würden Kontrollmechanismen eingeführt. Tatsächlich aber gaben manche dieser Regelungen der Regierung mehr Macht, die seit der Carter-Administration immer weiter ausgedehnt wurde.
Der Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA) zum Beispiel schuf damals Regeln für das Abhören ausländischer Geheimdienste. Was man nicht ahnte: Indem man diese Praktiken offiziell legitimierte, konnte die Bush-Regierung das Gesetz später so auslegen, dass es ihrer Meinung nach das Abhören im eigenen Land rechtfertigt – sogar ohne richterlichen Erlass.
kopfzeiler: In Ihrem Buch kritisieren Sie, dass es keine Handhabe gegen das so genante Exekutivprivileg des Präsidenten gibt, das es ihm und seinen Beratern in einigen Fällen erlaubt, Informationen vor dem Kongress und richterlichen Verfügungen geheim zu halten.
Robert Pallitto: Das Problem ist, dass diese Regelung nicht in den Gesetzen oder der Verfassung zu finden ist [es wurde erstmals von George Washington eingefordert und in der Grundsatzentscheidung des Supreme Courts im Fall United States vs. Nixon bestätigt]. Inzwischen legen sie neokonservative Rechtsexperten sehr weit aus. Ihrer Meinung nach bedeutet das Exekutivprivileg, dass das Staatsoberhaupt über dem Kongress und dem Recht stehen muss, um bestimmte Entscheidungen treffen zu können.
Auch am Obersten Gerichtshof gibt es Anhänger dieser These. In einer Anhörung im Jahr 2004 hat Richter Antonin Scalia erklärt, dass für ihn das Exekutivprivileg bedeute, dass ein Präsident ’sich jedes Mal weigern kann, einem Gerichtsbeschluss zu folgen, wenn er sich bedroht fühlt’.
kopfzeiler: Wo sehen Sie die größten Spielräume zur Verheimlichung von Informationen, die für den Bürger relevant sein könnten?
William Weaver: Regierungsbehörden können der Öffentlichkeit relativ einfach Informationen vorenthalten, indem sie diese schlicht von vorneherein als geheim einstufen. Damit sind die entsprechenden Dokumente dann erst einmal mindestens 25 Jahre für die Öffentlichkeit tabu. Alle sind sich einig, dass hier furchtbarer Missbrauch betrieben wird, aber niemand tut es was dagegen. Den ironischen Beweis finden wir in einer Notiz, die einmal ein Generalstabsmitglied an einen Kollegen geschickt hat. Dort beschwert er sich, dass die Klassifikationspraxis von Dokumenten selbst der Geheimhaltung unterliegt.
kopfzeiler: Wonach richten sich die entsprechenden Bearbeiter dann?
William Weaver: Bürokratische Beamte stufen Material inzwischen schon reflexhaft als geheim ein. Denn wer nur ein einziges Dokument öffentlich macht, das besser geheim geblieben wäre, riskiert seine Karriere. Dabei geht es meist nicht um die nationale Sicherheit, sondern darum, der Regierung die ein oder andere Verlegenheit zu ersparen, sei es wegen falscher Entscheidungen oder weil kriminelle Aspekte involviert sind. Bedenken Sie: Noch nie hat ein amerikanischer Richter die Veröffentlichung von Informationen verlangt, bei denen die Regierung auf der Wahrung des Geheimhaltungs-Siegels bestand.
kopfzeiler: Wird die nächste Regierung an diesen Zuständen etwas ändern?
Robert Pallitto: Leider glaube ich nicht daran, egal ob ein Demokrat oder Republikaner Präsident wird. Denn es würde bedeuten, freiwillig Macht abzugeben – und Präsidenten streben immer, wirklich immer danach, ihre Macht auszubauen.
William Weaver: Zudem würde es einen Sturm der Entrüstung bei den Geheimdiensten auslösen, würde ein Präsident plötzlich einseitige Entscheidungen zur Freigabe von Dokumenten treffen. Und welcher Präsident will schon Feinde in den Geheimdiensten? Nicht zuletzt hofft die nächste Regierung natürlich auch darauf, dass ihre eigenen Fehler später einmal im Dunkeln bleiben können, also hält sie an der Tradition fest.
kopfzeiler: Was ist mit dem Kongress und den Gerichten?
William Weaver: Diese Institutionen haben immer noch ihre Aufgaben des 19. Jahrhunderts, während sich die Rolle im des Präsidenten im 20. und 21. Jahrhundert komplett verändert hat. Moderne Waffen, vor allem Nuklearwaffen, aber auch die schnellere Kriegsführung haben dafür gesorgt, dass die Macht für Notfall-Entscheidungen an einem einzigen Ort gebündelt werden mussten. So erhielt der Präsident Kontrolle über all das, was wir heute mit dem Begriff “nationale Sicherheit“ umschreiben.
Der Kongress hatte im 19. Jahrhundert, als sich Kriege über Monate und Jahre anbahnten, noch Einfluss auf diese Dinge. Wie bei den Gerichten hat sich seine Struktur allerdings seitdem nicht verändert, die Welt um ihn herum schon. Das ist der Grund, weshalb er bei Entscheidungen über die nationale Sicherheit, zu denen eben auch die Geheimhaltung gehört, keine große Rolle mehr spielt.
[inspic=14,left,,thumb]William Weaver ist stellvertretender Direktor des Instituts für Politik und wirtschaftliche Entwicklung an der University of El Paso, Texas. Er beschäftigt sich mit dem Thema Auslegung und Veränderung des nationalen und internationalen Rechts.
[inspic=15,right,,thumb]Robert Pallitto ist Dozent für Politikwissenschaften an der Seton Hall University in South Orange, New Jersey. Zu seinen Schwerpunktgebieten gehören das amerikanische Verfassungsrecht und die Bürgerrechte. (beide Fotos: privat)
Ergänzung: In der aktuellen Ausgabe von NPR’s „On The Media“ gibt es zwei hörenswerte Beiträge, die sich mit einer ähnlichen Thematik beschäftigen. Sie sind hier und hier zu finden.