Warum die Berliner Barack Obama wie einen Heilsbringer empfingen. Ein erster Eindruck von der Fanmeile am Brandenburger Tor. Ein Bericht von Kopfzeiler-Gastblogger David.
Waldszene mit Hoffnungsträger (via azrael74, Flickr)
Als er um etwa zwanzig nach sieben Richtung Rednerpult in unmittelbarer Nähe der Siegessäule eilte, lässig, mit beiden Händen ins Publikum winkend, war es um die Zuhörer im Grunde schon geschehen. Da konnte Obama noch so sehr betonen, er käme nicht als Wahlkämpfer, sondern einfach als „citizen“, als Weltbürger, der sich so seine Gedanken mache.
Denn die etwa 200.000 Menschen, die an den Großen Stern gepilgert waren, waren betont jubelbereit. Zwischentöne des Präsidentschaftskandidaten überhörten sie gern: im allgemeinen Applaus ging die implizite Aufforderung an die Deutschen, doch ihren militärischen Beitrag in Afghanistan noch zu erweitern, beinahe unter. Auch die Frage, wie der Irak-Konflikt zu einem erfolgreichen Ende geführt werden könne, blieb seltsam unkonkret. Und kaum jemand schien sich daran zu stören.
Warum war das so? Zunächst spielte da sicherlich eine gewisse Ehrfurcht eine Rolle. Wer es in den engeren Kreis der Zuhörer geschafft hatte, der musste sich untersuchen lassen wie sonst nur an internationalen Flughäfen. Und die Sicherheitsleute waren mehr als pingelig. Mein Kugelschreiber etwa wurde für „seltsam“ befunden, auseinandergeschraubt, wieder zusammengeschraubt, und nochmals zerlegt. Solch ausführliche Security-Aktivitäten bleiben natürlich nicht ohne Eindruck. Dann hieß es: Entwarnung. Der Stift und ich durften weitergehen.
Klar: ein Kugelschreiber kann durchaus eine Waffe sein. Doch an diesem Abend lag die Waffe weniger im geschriebenen als im gesprochenen Wort. Die Rede, die Barack Obama dann an der Siegessäule hielt, ließ vor allem eines verspüren: Verbindlichkeit im Tonfall. Seht her, hier kommt jemand, der nimmt euch ernst. Gemeinsam, das war eines der Schlagworte, gemeinsam mit den Europäern, werde man für die Freiheit einstehen. Obama versäumte es erwartungsgemäß nicht, leitmotivisch auf die Symbolkraft der deutschen Hauptstadt für die Sache der Freiheit hinzuweisen.
Warum aber jubelten die Zuhörer in diesem Maße? Dort redete doch jemand, den sie gar nicht wählen können, der selbst noch nicht einmal von seiner eigenen Partei offiziell als Präsidentschaftskandidat nominiert ist. Was rechtfertigt dieses Übermaß an Hoffnungen?
Zunächst muss man natürlich festhalten, dass Barack Obama ein wirklich guter Redner ist. Sein Vortrag war präzise, die großen Linien Luftbrücke – Kalter Krieg – neue Herausforderungen des weltweiten Terrorismus – sicherlich klug gewählt und überzeugend verknüpft und mit einer guten Portion amerikanischem Traum (Freiheit für den Einzelnen) abgemischt.
Die Idee des guten Staates
Die Hoffnungen, die die doch eigentlich ohnmächtigen, da im kommenden November nicht wählenden Zuschauer, in ihre Jubelrufe legten, diese Hoffnungen jedoch scheinen fast aus einer vordemokratischen Zeit zu kommen. Denn da trat jemand auf, der sich als „Weltbürger“ darstellte, von den zuhörenden Bürgern jedoch als Ereignis, als Herrscher bejubelt wurde.
Barack Obama verkörperte in seiner grob umrissenen Philosophie einen, der auf der Suche nach einem Staat ist, der nicht einfach unilateral handelt, sondern auf andere hört. Einem Staat, der nach der Idee des Guten gestaltet ist. Diese Idee, die der Redner den jubelnden deutschen Zuhörern nahe brachte, erfüllt durchaus auch vordemokratische Sehnsüchte. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen dem zukünftigen Präsidentschaftskandidat der Demokraten und der seit Platon beschworenen Vorstellung eines „Philosophen-Königs“, eines gerechten Herrschers, dessen Versprechen eine Versöhnung zentraler Ungleichheiten dieser Welt ist.
Dieses Versprechen haben die Berliner an diesem Donnerstagabend mit reichlichem Applaus bedacht. Hinter der Siegessäule ging derweil die Sonne unter und schien den Zuhörern so stark ins Gesicht, dass man sich die Augen mit den Händen abschirmen musste, um den Hoffnungsträger überhaupt noch vernünftig sehen zu können. Da stand er und lachte, Barack Obama, mit strahlendem Nimbus. Und man selbst klatschte natürlich. Für den möglicherweise gerechten Herrscher. Man ist ja auch nicht ohne Sehnsucht.
(Update: Ein paar andere deutsche Blogs schreiben auch darüber.)