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Was ist liberal?

420.000 hessische Stimmen machen die FDP zu einem ersten Sieger im Superwahljahr. Doch sie können nicht verdecken, dass die Liberalen als Leerstelle der Bürgerlichkeit in den Wahlkampf ziehen.

FDP Wahlplakat
Zurück in die Zukunft (via medienfrech, Flickr)

Der Freudentanz der FDP hat beinahe Möllemann¹sche „Projekt 18“ Züge: Mit 16 Prozent Zweitstimmen in Hessen stellen die Liberalen wieder etwas dar.

Doch stellt die FDP 2008 etwas dar oder steht sie inzwischen wieder für etwas? Als potentieller FDP-Wähler kann man sich so eine Frage schon einmal stellen. Das Wort “liberal“, das hat was, finde ich; prinzipiell haltee ich auch den Markt gut, nur eben nicht unkontrolliert und für Gesundheits-, Wasser- oder sonstige Grundversorgung;  und im historischen Kontext verbinde ich immer noch Urgesteine wie Hildegard Hamm-Brücher mit den drei Buchstaben.

Und dennoch fällt mir in der Wahlkabine kein Grund ein, diese Partei zu wählen. Ich erinnere mich noch, als ein hessischer BWL-Bekannter mir am Vorabend der letzten Bundestagswahl ein betrunkenes “Du bist n Liberaler, isch seh das“ ins Ohr hauchte und ich peinlich berührt zu Boden blickte. Ist jetzt, 16 hessische Prozent oder 420.000 Stimmen später alles anders?  Der unverrückbarste Punkt im Koordinatensystem der FDP ist immerhin der Marktliberalismus, es gab Zeiten, da bestand diese Partei aus nicht viel anderem als dieser Philosophie, die gerade so einladend wie ein Sex-Date mit Peter Bond ist.

Doch die propagierte befreiende Durchdringung durch den Markt wurde im Zuge der Neoliberalisierung des Landes immer mehr zu wenig verdeckter Klientelpolitik. Bislang sehe ich immer noch keinerlei Anzeichen dafür, dass die FDP Energiekonzerne, Apotheker und Ärzte oder Beamte dem kalten Wind eines realen Marktes aussetzen möchte (einschränkend muss aber gesagt werden, dass sich Klientelpolitik nicht auf die FDP beschränkt). Die liberalen Werte, wegen deren Sabine Leutheusser-Schnarrenberger einst als Justizministerin zurücktrat, wurden erst vor kurzem wiederentdeckt, als die Anti-Terrorgesetzgebung schon die ersten Straßendemonstrationen zur Folge hatte. Und so weit, die Koalition in Bayern wegen der Online-Durchsuchung platzen zu lassen, ging die Liebe zum Datenschutz dann allerdings nicht. Bleibt als möglicher Wahlgrund der Wert des gesellschaftlichen Liberalismus: Hier ist die FDP inzwischen allerdings nicht mehr von der Konkurrenz der Grünen zu unterscheiden.

So sind es nicht liberale Tugenden, sondern vielmehr deren Illusion, mit der die FDP 2009 in den Wahlkampf zieht und sich als Teil der bürgerlichen Mitte gebiert. Doch der Duktus ist diffus, der Erfolg auf den rapiden Ansehensverlust der Volksparteien gegründet: Es ist schon fast ironisch, wenn die Partei, die einst den Wechsel von Schmidt zu Kohl mitmachte und damit seinerzeit im Bund so lange wie keine andere Partei regierte, inzwischen vor allem von einer Sache profitiert: Dass sie im Bund seit über zehn Jahren in der Opposition sitzt und inzwischen als eine Art weißer Fleck des Bürgerlichen wahrgenommen wird; undefiniert, ungeprüft, aber doch irgendwie vertrauenseinflößend und wohlig.

Ob die Westerwelle-Partei davon profitieren kann, weil Koch zu ideologisch und Merkel zu pragmatisch agieren? Im Idealfall könnte eine FDP in der Regierung für pragmatische Herangehensweisen bei mit Ideologiefragen überfrachteten Problemen stehen. Sie könnte aber auch die Partei sein, die entgegen den Zeichen der Zeit für eine weitere Spaltung der Gesellschaft sorgt. Um meine Stimme zu erhalten, müsste die FDP die Frage beantworten, wer sie ist. Weiß sie es selber?

2 Gedanken zu „Was ist liberal?“

    ben_ sagt:

    Ich hab’s ja in der Zeit Online Community schon gesagt und ich sage es hier gerne nochmal, und lehne mich sogar noch weiter aus dem Fenster: Guido „Wir machen uns mit russischem Uran unabhängig vom russischen Gas“ Westerwelle sollte man zum Aufräumen in Asse II werfen. Und mit ihm alle die ein gelbes Parteibuch habe, und meinetwegen auch gleich die 420.000 hessischen Wähler. Vielleicht bringt all die Radioaktivität ihre kleinen Milchmädchengehiren zum ersten Mal zu leucht.

    […] das Festhalten am neoliberalen Projekt und die Ein-Mann-Westerwelle-Show die Frage darüber, was eigentlich “liberal” heute bedeutet, nur zeitweilig verdrängt hat. Nun wird sie um die Beantwortung nicht herum kommen, und erste […]

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