Gedanken zu Frank Schirrmachers Payback.
Es war gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die ersten Kinofilme vorgeführt wurden. Sie dauerten nicht länger als zwei Minuten, ein beliebtes Motiv war dabei die Einfahrt eines Eisenbahnzuges. Dem Mythos zufolge waren einige Zuschauer der ersten Vorführungen von der auf sie zu rasenden Lok so geschockt, dass sie panisch den Vorführsaal verließen.
Ich bin mir nicht sicher, was FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher getan hätte, wäre er damals anwesend gewesen: Wäre er erschrocken aus dem Saal gestürmt? Hätte er nach der Vorführung davor gewarnt, dass unsere Realität sich ändern würde und wir künftig alle das Leben mit den Augen eines Kinobesuchers sehen würden, mit tragischen Folgen für das Allgemeinwesen? Oder hätte er einfach sein subjektives Erlebnis aufgeschrieben und daraus folgend ein paar kluge Fragen gestellt?
Schirrmachers neues Buch “Payback“ beschäftigt sich mit dem digitalen Zeitalter, und der Autor hat darin irgendwie alle drei oben beschriebenen Wege beschritten. Ihm ist die Erschrockenheit ob der technischen Veränderung ebenso anzumerken wie der Wunsch des Intellektuellen, seiner veränderten Lebensumwelt einen Sinn zu geben. Und er möchte eine Debatte anstoßen, nicht zuletzt im Netz, was sich im sanften Umgang mit den Digital Natives im Buch zeigt (was wiederum seine damalige Lobeshymne auf die Piratenpartei in einem anderen Licht erscheinen lässt). Dass das nicht funktioniert, wenn er gleichzeitig in Interviews dem Mainstream-Publikum die üblichen Populismusthesen (“Das Internet vermanscht unser Gehirn“) zum Fraß vorwirft, hätte er sich allerdings denken können.
Hal 9000 ist zurück
Nun denn, ich habe das Buch dieses Wochenende gelesen und finde es fast schon ironisch, wie stark sich Payback an die Aufmerksamkeitsformen des Netzes angepasst hat: Kurze Kapitel, viele Fußnoten (statt Links), dazu eine Argumentationsform, die fast assoziativ wirkt – was leider der These, die er vertritt, nicht zugute kommt.
So beschreibt Schirrmacher eine Angst vor einem Supercomputer, der unser Denken übermannt und uns so zu einem Teil von sich macht; damit bedient er, auch wenn er das explizit abstreitet, das Klischee des Computers, das bereits vor Jahrzehnten von HAL 9000 verkörpert wurde. Dabei schwingt überall die Angst vor dem vorherbestimmten Menschen mit, die bereits in der Neurodebatte in den Neunzigern markiert wurde, die meiner Meinung nach zu dem besten gehört, was je in deutschsprachigen Feuilletons zu lesen war.
Doch die Neuro-Analogie ist dieses Mal zu hoch gegriffen: Der Code, vom einfachsten Basic-Befehl bis zum kompliziertesten Algorithmus, ist von Menschen gemacht. Als überforderter Nutzer kann Schirrmacher nicht das Zen des Codes erkennen: Der Code bietet keine Lehre, kein Geheimnis, keine Antworten. Er wird erst durch die Menschenhand erweckt, oder, um mit Ben zu sprechen: Technik ist “keine erzwungene Prothese, sondern ein Werkzeug. Welcher Zimmermann klagt über Hammer und Säge?“
Indem der Autor den Computer als Verantwortlichen für die technische Entwicklung ausdeutet, begibt er sich selbst in die Position der Unmündigkeit, die er uns allen als Computerusern vorwirft, die von der Maschine nicht loskommen. Dabei sind alle großen Innovationen, die das Netz hervorgebracht hat, keineswegs von Computern gesteuerte evolutionäre Rechenentwicklungen: Es waren die Ideen, die damit versteckte, aber doch in der Luft liegende Bedürfnisse der Menschen im Internet befriedigt haben, von der Suche nach Informationen (vom WWWWanderer bis Google) über die Vernetzung (soziale Netzwerke) bis hin zur Vernetzung von Informationen zur besseren Gliederung (Semantic Web). Der Mensch macht das Netz, seine Entwicklung wird kollektiver bestimmt als die jedes Mediums zuvor.
Marxisten und Multitasker
So bleibt im ersten Teil ein überzeichnetes Bild der digitalen Gesellschaft, wenn Schirrmacher den freien Zugang zu Informationen ohne nähere Begründung als Marxismus klassifiziert oder Multitasking als Ausprägung des Taylorismus beschreibt, als hätte es Taylors Prinzip der Mehrarbeit nicht kontinuierlich seit der Industrialisierung gegeben, sondern wäre erst durch den Computer auf die Menschheit hereingebrochen. Gerade in Sachen Multitasking, dem Aufhänger seiner These, schafft es Schirrmacher nicht über die Erkenntnisse Mirjam Meckels (“Das Lob der Unerreichbarkeit“) hinaus, obwohl sich seitdem einiges getan hat.
Dennoch finden sich einige Gedankengänge in dem Buch, die durchaus beachtenswert sind: So kann ich seine Tirade im zweiten Teil gegen die derzeitige Bildung, in der Computer wie Fernseher eingesetzt werden, größtenteils zustimmen. Auch wenn ich nicht daran glaube, dass wir unser Leben einmal einzig über die Auswertung von Datenmengen steuern, ist der vorgeschlagene Perspektivwechsel im Sinne eines Erkennens der Strukturen des Internets und der Darstellung, Auswertung und Verlässlichkeit der Informationen dort notwendig. Die Frage nach den Folgen von Informationskaskaden im Echtzeit-Web auf unsere Wahrnehmung und die Definition von relevanter Information harrt ebenfalls ihrer Beantwortung – ob dies allerdings objektiv erfolgen kann, bleibt fraglich.
Vielleicht ist dies das größte Manko Schirrmachers: Payback versucht, subjektive Eindrücke um jeden Preis als objektive Wahrheiten zu klassifizieren – und landet dadurch in einem extremen Determinismus, der bisweilen ärgerlich ist. Als Beispiel sei die Idee genannt, Statistik (Vorschlagsmechanismen bei Amazon und Co) als Anzeichen für das Verschwinden der Willensfreiheit zu interpretieren, als gäbe es keine Nuancen im Konsumverhalten der Menschen, keine biographischen Einzigartigkeiten und Veränderungen. Zudem hat das Internet mit Netzwerken des Vertrauens bereits ein wirksames Alternativmodell für maschinenbasierte Vorschlagslisten zu bieten (über dessen anstehende Kommerzialisierung auch zu reden sein wird).
Die Signifikanz von “Payback“ könnte deshalb weniger in seiner Theorie, sondern darin liegen, dass Schirrmacher ein in der Luft liegendes Thema populär aufbereitet hat – und somit den Diskurs für ein Publikum jenseits der Digital Natives geöffnet hat. Das ist zu begrüßen, denn fehlt in der Debatte doch häufig zwischen rücksichtslosem Techoptimismus und rabenschwarzem Kulturpessimismus ein Mittelweg, der Argumente schlich überprüft und sachlich bewertet. Aber das ist nur mein subjektiver Eindruck.
Respekt, Johannes, dass Du das wirklich gelesen hast … mir fehlen dafür ja die Nerven, die Geldud und das Mitleid. Diese Debatte mag für Herrn Schirrmacher wichtig sein – ändern wird sie nichts. Ich sehne mich nach dem Jahr in dem das Netz endlich so normal ist, wie heute Film und Fernsehen und Rockmusik – auch für die Generation Schirrmacher.
Und ich sage auch nochmal, das was ich immer sage: Technik selber verändert nicht das allergeringste. Erst der gesellschaftliche Wille zu einem Zweck einzusetzen verändert die Dinge. Selbst wenn Schirrmacher mit seinen dystopischen Einschätzungen recht hätte: Es sind nicht die Maschinen, die all das hervorgebracht haben, nichteinmal Programmierer. Läßt man Programmierer alleine machen, erfinden sie Sachen wie PGP und Tor-Server. Es sind Politiker, Manger, Lobbyisten und nicht zuletzt auch Journalisten, die die Verwendung von bestimmte Techniken propagieren. Am sichersten aber sind es die Leute selber – Wir wollen multitasken, wir wollen Überwachung, wir wollen rauschende Datenströme, wie wollen Ablenkung und Oberflächlichkeiten.
[…] kopfzeiler: Aufmerksamkeit oder das Zen des Codes […]
@ben: ich fürchte, die Generation Schirrmacher wird aussterben, bevor sie das Internet als etwas ganz alltägliches begreifen lernt. Macht aber auch nix, meine Uroma konnte mit Fernsehern auch nie etwas anfangen, meine Oma hat immer „Konsum“ zum CoOp (später HL) gesagt und meine Mutter sieht das Internet auch als Hort allen Übels an. Was soll’s. Schade zwar, aber jeder hat eben das Recht auf seinen eigenen Tellerrand 😉