Zur Debatte über temporäre Arbeitsverhältnisse.
Nein, die Meldung, dass in Deutschland inzwischen fast jede zweite Neueinstellung befristet erfolgt, ist für Menschen in meinem Alter keine Überraschung: Das Leben in der ständigen Zwischen-Zeit, das Jonglieren mit den Perspektiven ist für uns eher Regel als Ausnahme – und dabei spreche ich nicht nur von Akademikern in problematischen Feldern wie den Geisteswissenschaften, sondern auch von Naturwissenschaftlern, Ingenieuren, BWLern; ich rede zudem nur von denen, die überhaupt befristet angestellt sind, die vielen Freiberufler am Rande des Existenzminimums sind dabei noch gar nicht eingerechnet.
Kann ein Leben ohne Lebensplanung Chancen bieten? Die Antwort ist ein “ja, wenn …“: Ja, wenn wir endlich begreifen, dass befristete Arbeitsplätze eigentlich besser als feste Stellen bezahlt werden müssten, trägt doch der Arbeitnehmer hier die Hauptrisiken bei der Unterschrift des Vertrages. Ja, wenn wir in Deutschland eine Entrepreneurskultur schaffen würden, die nicht die Gefahr birgt, beim Misslingen einer Idee auf Jahre hinaus Privatschulden anzuhäufen. Ja, wenn wir eine Dienstleistungs-, nicht eine Automatisierungskultur werden würden. Ja, wenn wir als Gesellschaft von der Fixierung auf die Arbeit als Erfüllung des Daseins und als Grundstein für soziale Akzeptanz Abschied nehmen. Ja, wenn die Politik akzeptiert, dass all die “Kriegt-doch-Kinder“-Parolen ihre Wirkung nicht entfalten werden, wenn eine mittelfristiger Lebens- und Einkommensplanung unmöglich ist.
In einem taz-Artikel wurde zu diesem Thema jüngst richtig bemerkt, dass sich im Konzept des Lebens jenseits der Festanstellung die “digitale Bohème“ und der Neoliberalismus treffen und eine Schnittmenge bilden. Das ist kaum verwunderlich, steht doch bei beiden Denkfiguren der absolute Sieg des Individuums im Zentrum. Beide haben zudem aber gemein, dass ihr Idealbild nicht mit der Realität in Einklang zu bringen ist.
Der auf dem offenen Arbeitsmarkt hin- und her springende Ideal-Arbeitnehmer des Neoliberalismus kann nur dann flexibel sein, wenn genügend Angebot auf dem Arbeitsmarkt herrscht. Dies ist strukturell nicht mehr der Fall, auch nicht in den meisten Akademikerberufen. Der sich selbst verwirklichende Digitalo wiederum muss die Nische finden, in der er sich breit machen kann – doch die Zahl solcher Plätze und das dort zu verdienende Einkommen sind so gering, dass oftmals eher von einer Erben- als einer Berufstätigkeit gesprochen werden kann.
Als Betroffener finde ich das Leben ohne Lebensplanung derzeit nicht besonders angsteinflößend. Ob es uns aber als Gesellschaft zum Guten gereicht, wage ich zu bezweifeln.
Dem gewagten Zweifel schließe ich mich am an und ergänze mal einen weiteren: Digitale Boheme und Neoliberalismus haben in ihrem Ideal des Arbeiters ein Problem gemein: Der Arbeiter ist immer, flexibel, nicht zu anspruchsvoll und auf dem letzten Stand der Wissens … oder ich sag’s mal anders: Wie groß ist die digitale Bohme jenseits der 40, jenseits der 50?
Ich bin knapp 30 und wenn ich beobachte wie 10 Jahre jüngere Mitmenschen mit Technologie umgehen, fühle ich mich meist ziemlich abgehangen – und das obwohl ich in der IT Branche arbeite und weiß Gott kein Technikmuffel bin. Die Geschwindigkeit mit der sich Technologie weiterentwickelt hängt eine große Menge Menschen ab. Das birgt neben Risiken für die persönliche Lebensplanung auch Risiken für die Entwicklung der Gesellschaft.