Das ungarische Mediengesetz ist entschärft. Grund zur Entwarnung?
Das Europäische Parlament hat heute seine Abstimmung über die Resolution gegen das ungarische Mediengesetz auf unbestimmte Zeit verschoben. Das ist keine Überraschung, denn gestern hatte sich die EU-Kommission in Gestalt von Medienkommissarin Neelie Kroes mit Budapest auf einen Kompromiss geeinigt.
Demnach leitet die ungarische Regierung folgende Änderungen in die Wege:
-die Verpflichtung zu einer „ausgewogenen Berichterstattung“ gilt nicht mehr für private Medien oder sogar Videoblogs, sondern nur noch für den staatlichen Rundfunk. Das ist in der EU so üblich.
-die behördliche Zulassungspflicht für Medien wird gekippt, stattdessen gibt es eine Registrierungspflicht innerhalb von 60 Tagen nach Sendebeginn/Erstausgabe. Offenbar sind Blogs von dieser Regelung ausgenommen.
-der Passus, wonach Medien auch „implizit“ keine Menschen oder Gruppen beleidigen dürfen, fällt weg.
-ausländische Medien müssen keine Geldstrafen mehr zahlen, wenn sie gegen dieses Prinzip der Ausgewogenheit verstoßen. Ihnen kann jedoch die Erlaubnis entzogen werden, aus dem Land zu berichten.
Unangetastet/offen bleibt:
-die neu eingeführte Institution einer Medienbehörde, dessen Vorstandsmitglieder („Medienkontrollrat“) samt und sonders der regierenden Fidesz-Partei nahe stehen und auf neun Jahre bestimmt wurden, bleibt bestehen. Sie ist für die Umsetzung und Einhaltung der Mediengsetze zuständig und kann theoretisch auch privaten Medien durch harsche Gesetzesauslegung Schwierigkeiten machen; die Verpflichtung zur „ausgewogenen Berichterstattung“ in öffentlich-rechtlichen Medien könnte der Kontrollrat ausnutzen, um unliebsame Regierungskritik zu unterdrücken.
War es nun richtig vom EU-Parlament, die Resolution erst einmal fallen zu lassen? Ich denke, es ist zumindest vertretbar, da Premier Viktor Orbán sonst die „Wir-gegen-Brüssel/Strasburg“-Karte gespielt und damit sogar innenpolitisch von der Kontroverse profitiert hätte (Ansätze fanden sich schon zuvor in seiner Rhetorik). Ich hoffe aber darauf und gehe als Europäer fest davon aus, dass die praktische Durchsetzung der Gesetze weiterhin auch von der EU kritisch überwacht wird.
Wichtiger ist, wie sich der Widerstand in Ungarn selbst entwickelt: Am 15. März wird eine Großdemonstration gegen das Gesetz stattfinden, im April entscheidet das ungarische Verfassungsgericht über seine Rechtmäßigkeit. Wie auch immer diese ausfallen wird: Ich traue Viktor Orbán keinen Meter über den Weg, er könnte durchaus zu einer Art Berlusconi des Ostens werden (minus des Reichtums und der Frauengeschichten, versteht sich). Wir sollten die künftigen Gesetzesinitiativen in Ungarn deshalb weiter mit höchster Aufmerksamkeit beobachten.