Viele Fraktionen, viele Ziele: Wie sich die Oppositionsbewegung im Jemen zusammensetzt.
Die Situation im Jemen ist so komplex, dass es manchmal fast bizarr wirkt: Da ruft US-Außenministerin Clinton die Beteiligten dazu auf, den Waffenstillstand zu respektieren, während gleichzeitig amerikanische Dronen Bomben auf mutmaßliche Al-Kaida-Mitglieder im Land fallen lassen.
Und auch wer die Frage beantworten möchte, wie sich dort die Opposition zusammensetzt, fällt schnell der Verwirrung anheim: Da gibt es die Jemeniten, die zuerst für den Wandel auf die Straße gingen und dabei zu Hunderten erschossen wurden. Die wollen nach dem vorläufigen Abflug von Präsident Saleh eine komplett unabhängige Übergangsregierung und eine strafrechtliche Verfolgung des verletzten Staatschefs. Auf der anderen Seite gibt es die offizielle Opposition, die wiederum lange sehr handzahm gegenüber Saleh war und nun offenbar dazu tendiert, den Golfstaaten-Vorschlag zu unterstützen, der eine Einheitsregierung mit Mitgliedern aus Opposition und aktueller Regierungspartei besteht. Übrigens bizarr, dass der Vorschlag der Golfstaaten (okay, die USA mischen auch noch mit) zur Lösung von reaktionären Ländern wie Saudi Arabien und Oman kommt.
Eine Schnittmenge bildet die Opposition mit den diversen Stämmen, die sich inzwischen fast alle mit der Opposition solidarisiert haben. Wirklich mächtig ist dabei der Familienklan von Sadiq al-Ahmar. Die Ahmars akzeptierten Saleh lange als Präsident – für die entsprechenden Gegenleistungen, die Solidarisierung mit den Protestierenden war rein verbal, obwohl Al-Ahmar eine mächtige Miliz besitzt. Als Saleh Mitte Mai dessen Haus angreifen ließ, war das Schicksal des Präsidenten allerdings besiegelt: Der Bombenanschlag auf das Präsidentendomizil dürfte vom al-Ahmar-Klan organisiert worden sein. Saleh hat jedoch auch noch einen mächtigen Familienverband, der seine Rückkehr sichern könnte: Seine Brüder und Neffen kontrollieren weiterhin die Sicherheitskräfte, wo sich die Wechsel ins Oppositionslager allerdings häufen.
Eine Sonderstellung nimmt der Huthi-Klan im Norden ein: Der schiitische Stamm kämpft seit langem um Unabhängigkeit, ob von Iran unterstützt oder nicht, ist unklar. Das wiederum macht die sunnitischen Nachbarn aus Saudi Aarabien nervös, da dadurch die Situation im Grenzgebiet destablisiert wird. In den vergangenen Wochen konnte der Stamm offenbar Land im Norden unter seine Kontrolle bringen, um das es jahrelang gekämpft hatte.
Im Süden wiederum sollen Al-Kaida-Gruppen inzwischen regionale Regierungsgebäude unter ihrer Kontrolle haben, ob und wie sie mit den Stämmen und Teilen der Opposition in dieser Gegend zusammenarbeiten, ist unklar und wird sich nie verifizieren lassen. Saleh wurde übrigens im Ausland dafür geschätzt, dass er die Stämme immer wieder mit Stöckchen und Karotte im Zaum halten konnte und hart gegen Al-Kaida vorging. Unklar ist, wie sich die Lage unter einer möglichen neuen Regierung ändert.
Und wie geht es weiter? Schon die Konstellation riecht nach Chaos. Ich nehme an, dass Saudi Arabien Saleh daran hindern wird, aus dem Exil zurückzukehren. Die Übergangsregierung wird nach dem Gusto des Al-Ahmar-Klans zusammengestellt, wodurch einfach die andere Familie an die Macht kommen wird. Saleh-Getreue werden nun pokern, ob sie wirklich Amnesie erhalten und beim Wechsel nicht zu viel von ihren Erbhöfen abgeben zu müssen, weshalb sich der Machtwechsel etwas länger hinziehen könnte. Und selbst danach dürfte das Land nur schwer zur Ruhe kommen.