Warum eine Antwort auf die Frage nach den Protest-Zielen hier besonders wichtig ist.
Am Wochenende soll die #occupywallstreet-Welle auch nach Deutschland überschwappen und ich bin ehrlich gespannt, ob es hierzulande ein wirklich wahrnehmbares Protestpotential gibt und sich neben den bekannten (und wirklich zu bewundernden) Immer-wieder-Samstags-Demonstranten auch unverbrauchte Gesichter finden, die auch Beharrungsvermögen jenseits eines einmaligen Ereignisses haben. Ich habe starke Zweifel.
Die Frage nach konkreten Forderungen beantworten die Aktivisten in den USA bislang recht vage (vergesst den Hype über die Liste of demands, aber nicht die Give Back Our Skateboards-Bewegung), weshalb ein großes Interpretationsspiel im Gange ist. Mike Konczal hat sich deshalb das Tumblr-Blog „We Are The 99 Percent“ angesehen und aus der dortigen Demographie und den beklagten Problemen mögliche Ziele von #occupywallstreet herausgearbeitet. Er analysiert:
The actual ideology of modernity, broadly speaking, is absent. There isn’t the affluenza of Freddie’s* worries, no demands for cheap gas, cheaper credit, giant houses, bigger electronics all under the cynical ”Ownership Society” banner. The demands are broadly health care, education and not to feel exploited at the high-level, and the desire to not live month-to-month on bills, food and rent and under less of the burden of debt at the practical level. (…) There’s no calls for some sort of post-industrial personal fulfillment in their labor – very few even invoke the idea that a job should “mean something.” It’s straight out of antiquity – free us from the bondage of our debts and give us a basic ability to survive.
*Freddie DeBoer sieht in den Demonstrationen eine 90er-Jahre-Nostalgiebewegung, keinen progressiven Aktivismus.
Was auffällt: Ein Teil der Forderungen wären in Deutschland bereits erfüllt – wir haben eine unfassbar gute Gesundheitsversorgung, bezahlbare Studiengebühren (auch, wenn man über deren generelle Sinnhaftigkeit streiten kann), einen Sozialstaat, der zumindest für eine Grundversorgung auf niedrigem Niveau sorgt.
Auch die europäische Blaupausen-Protestbewegung, die Indignados-Demonstranten in Madrid, konnten als einen ihrer größten Erfolge das Versprechen eine deutsche Errungenschaft verbuchen: Der Ministerpräsidenten-Kandidat der Sozialisten, Alfredo Pérez Rubalcaba, will nun (nach jahrelangem Widerstand seiner Partei) das Wahlsystem nach deutschem Vorbild reformieren, damit auch kleine Parteien eine faire Chance haben, ins Parlament gewählt zu werden. Einziges Problem: Er wird mit ziemlicher Sicherheit die Wahlen verlieren.
Die Aufzählung bedeutet nicht, dass hier alles in Ordnung ist: Womöglich sind die Ziele aber andere, ist #occupy-xy nicht einfach auf andere Länder zu übersetzen, müssen die Menschen, die am Samstag auf die Straße gehen (falls es überhaupt genug werden und sie Ausdauer besitzen, wiederzukommen), bald genauer formulieren, was sie wollen und warum sie dort stehen. Sollte es wirklich soweit kommen, wären wir schon einen gewaltigen Schritt weiter: Näher an einer echten Diskussion über eine Definition der Welt, in der wir leben wollen.
[…] zu einer Debatte über die Partei ist. Mir persönlich steht auf der Theorieebene die Occupy-Bewegung mit ihrer Utopie einer besseren Welt deutlich näher – und selbst die kann man ja durchaus […]