Der EU-Gipfel löst die akuten Probleme nicht.
Auch wenn der Spin in eine andere Richtung geht: Mit den Lösungen der akuten Eurozonen-Probleme haben die Ergebnisse des EU-Gipfels nichts zu tun, wie meiner Ansicht nach spätestens die italienischen Bond-Auktionen im Januar zeigen werden (es sei denn, die EZB ändert bis dahin ihren Kurs). Im Gegenteil. In der EU wurde mit den Beschlüssen eine gefährliche Grundhaltung institutionalisiert, die als “Aus der Krise sparen“ bekannt ist.
Als der Bundestag unter Schwarz-Rot eine Schuldenbremse beschloss, klang das zuerst einmal ethisch korrekt (Haushaltsdisziplin als Staatsziel! Generationengerechtigkeit!). Schon damals aber gab es Kritik von Wirtschaftswissenschaftlern, und das nicht zu knapp und nicht zu unrecht. Auch jetzt weisen diverse Ökonomen darauf hin, dass die auf dem Gipfel beschlossene EU-weite Schuldenbremse die Handlungsmöglichkeiten der Politik in Krisenzeiten nicht vergrößert, sondern deutlich einschränkt – Keynes’sches Deficit Spending ist mit ihr kaum mehr möglich (und eine Transferunion aus politischen Gründen vom Tisch). Das ist fatal: An der wirtschaftlichen Entwicklung in den PIGS-Staaten sehen wir, wie ein Sparkurs in Krisenzeiten einer wirtschaftlichen Erholung entgegensteht und Steuereinnahmen wegbrechen. Die harten Sparmaßnahmen dienen kurzfristig bestenfalls einer moralischen Befriedigung der Bürgen (lese: Deutschland).
Eine institutionalisierte Schuldenbremse lässt den EU-Ländern in steuerschwachen Krisenzeiten vor allem zwei Möglichkeiten: Ausgabenkürzungen und Privatisierungen. Ich mache jetzt nicht das Fass auf, generell über Sinn und Unsinn von Privatisierungen zu diskutieren – sicherlich muss der Staat keine Rennbahnen und Flughäfen besitzen, wie in Griechenland der Fall*. Dennoch ist anzumerken, dass Privatisierungen im wirtschaftlichen Abschwung häufig Erlöse unter dem Marktpreis bringen und wir, die Schuldenbremse über Jahrzehnte weitergedacht, bei einer deutlichen neoliberalen Staatsdefinition sind, in der womöglich auch Kernbereiche der Versorgung von transeuropäischen Konzernen monopolartig verwaltet werden.*
Bei der Lenkung der staatlichen Einnahmen und Ausgaben wird es interessant sein zu sehen, ob Regierungen unter der Aufsicht der “Fiskalunion“ überhaupt die Möglichkeit haben, unter Hinweis auf die Zwänge der Verträge eine für ihr Land individuell gerechtere Steuerpolitik durchzusetzen (und ob sie das wollen, wenn dies signifikante Steuererhöhungen einschließt), oder ob die Definition von Disziplin sich in den klassischen Sozialkürzungen auf der Ausgabenseite erschöpft. Das vage Versprechen, endlich stärker voneinander zu lernen (nicht nur fiskalpolitisch), ist zu Ende gedacht vielleicht der vielversprechendste Punkt der EU-Einigung. Einzig: Eine für künftige Krisen äußerst ungeeignete Schuldenbremse hätte es dafür nicht bedurft.
*Ein Blick auf den griechischen Ausverkauf könnte nahelegen, dass offenbar französische Unternehmen sich dort stark positionieren wollen. Ironischerweise sind gerade diese eng mit dem Staat verbandelt.
Ich halte es für gewagt, mit „Keynes’schem Deficit Spending“ gegen die Schuldenbremsen zu argumentieren. Genau andersrum wird ein Schuh draus: Die Regierung haben jahrzehntelang viel zu viel Geld ausgegeben. Geld, das entweder unsere Kinder und Enkel irgendwann bezahlen müssen (im Falle von Deutschland) oder Geld, das überhaupt nie von irgendwem zurückbezahlt werden kann (Griechenland).
Schuldenbremsen haben nicht den unangenehmen Nebeneffekt die Handlungsfähigkeit des Staates in einer Krise einzuschränken, sondern die volle Absicht, die Staaten dazu zu zwingen eine solide Haushaltspolitik zu machen, damit die Krise nicht so brutal werden wird. Der Nebeneffekt dabei ist die Generationengerechtigkeit. Aber die Hauptaufgabe der Schuldenbremse ist der Zwang zur Einhaltung der intertemporalen Budgetbeschränkung und die Internalisierung des staatlichen Zeithorizonts in das Handeln der Politiker, um die Zeitinkonsistenz zu verringern.
Darüber hinaus sind Schuldenbremsen mit Verfassungsrang so ziemlich das sinnvollste Instrument, um zu zeigen, dass man es mit dem Konsolidieren ernst meint. Sie erzeugen Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit, stabilisieren die Markterwartungen und sind somit das zentrale Element der Krisenbekämpfung.
Mir ist der theoretische Sinn einer Schuldenbremse klar und ich sehe das natürlich auch als Marktsignal – aber wie sieht das in der Praxis aus? Ich bin ein großer Fan von Haushaltsdisziplin, aber ich glaube, dass in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs vor allem Anschubinvestitionen des Staates gefragt sind.
Und die sind bei sinkenden Steuereinnahmen eben nicht so einfach zu finanzieren – und mit der Schuldenbremse wird das künftig noch schwieriger. Im Abschwung heißt dann die Lösung stets „Austerity“ oder „Gesundsparen“ – und wie fatal das ist, zeigt die wirtschaftliche Entwicklung in Griechenland.
Die Schuldenbremse führt in einem normalen Konjunkturzyklus natürlich nicht zu einem so extremen Schrumpfen der Wirtschaft wie im Falle von Athen, verlängert jedoch wachstumsschwache Phasen (quasi instutitionell).