Im Geiste des Prozessjournalismus ein paar Ergänzungen zu dem Gespräch mit Jack Dorsey, das ich am Sonntag geführt habe. Der Artikel steht online, ist aber eigentlich aus der Zeitung, weshalb der Zeilenumfang begrenzt ist. Leider hatte ich zu viel zu tun, ihn für online zu ergänzen und umzuarbeiten, deshalb das hier auf dem informellen Weg.
Zu den Fragen der freundlichen Twitter-Helfer (vielen Dank!!):
@thetrip (Künftig Werbung für jedermann): Ja, wird gerade ausgerollt und wird wohl ähnlich wie Adwords nur ohne Bieterverfahren laufen. Eigentlich logisch, denn nur so skaliert das bei einem Echtzeit-Dienst. Mehr unter dem Stichwort „Self-serve Ads„.
@Sophist (deutsche Startups): Für die Frage hatte ich leider keine Zeit mehr, pardon. Das Interview war mit 22 Minuten (so stehts auf dem Aufnahmegerät) noch kürzer als ohnehin gedacht. Aber über die Verknappungs-Taktiken von PR-Menschen müsste ich mal einen eigenen Blogeintrag schreiben.
@muellero (wohin geht die Reise? Signal vs. Noise): Über die Strategie steht einiges im Text. Ergänzend würde ich sagen, dass Twitter mehr an einer einheitlichen Bedienung arbeiten möchte, weshalb ja auch Tweetdeck gekauft und ohne Air nochmal neu gebaut wurde. Eigentlich irritierend, dass man immer noch in der Nutzergewinnungs-Phase ist, aber bei einer Aktivität von 25 Prozent geht das natürlich nur über Wachstum. JD betont, dass natürlich weiterhin Software auf Twitter drauf bzw. die API gebaut werden kann, aber man will schon die Webseite zum zentralen Anlaufpunkt machen. Nimmt man jetzt noch Summify dazu und eine Verbesserung des Relevanz-Algorithmus, an der man ständig arbeitet, sieht man, wo die Reise hingeht.
Vielleicht noch ein paar kleine Punkte: Generell merkt man, dass Dorsey sehr viel Wert auf einheitliches Design und UI legt. Ich denke, man hat sich mit ihm auch dafür entschieden, den Weg der integrierten und wenig aufdringlichen Werbung weiter zu gehen bzw. über Umwege Aufmerksamkeit zu erzielen (die Geotags an Tweets haben da ja theoretisch potential, aber wie lange reden wir schon über ortsbasierte Werbung…). Ich habe von dem, was Dick Costolo so über Experimente mit Videowerbung etc. erzählt den Eindruck, dass DC sein Gegenpart ist und man sich irgendwo in der Mitte einigt, wobei sich das schnell ändern kann, wenn man sich die Unstimmigkeiten der Vergangenheit ansieht. Aber ob das „wir wachsen und werden wichtiger“ wirklich funktioniert, wenn das Anzeigenumsatz-Wachstum nicht mitzieht, ist eine andere Frage. Hier würde ich auf 2013 gucken, denn in diesem Jahr werden aufgrund der Wahl wahrscheinlich ziemlich gute Umsätze erzielt, einfach mal verfolgen, wie oft jetzt schon die republikanischen Kandidaten Werbung schalten.
Ein anderer Punkt ist China: Hier spricht man wohl mit den Behörden dort, sieht aber im Moment die Regierung am Zug, die Blockade aufzuheben. Ein U-Turn ist nicht zu erwarten, wobei die Weibos natürlich zeigen, wie stark der Bedarf nach Microblogging dort ist – nur der Preis der Zensur-Regulierung wäre für Twitter zu hoch.
Über Square haben wir nur ganz kurz geredet. JD meint, dass NFC keine Konkurrenz ist, was ich definitiv anders sehe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er in 12 Monaten noch Twitter-Produktverantwortlicher und Square-CEO zugleich ist, wobei ich da natürlich die anstehenden Benchmarks nicht kenne. In jedem Fall rechnet er damit, dass sein Traum, Bürgermeister von NYC zu werden, frühestens in 30 Jahren in Erfüllung geht. „Wenn mich die New Yorker dann noch wollen“.
Ein lesenswertes Porträt gibt es übrigens bei Vanity Fair. Da merkt man erst, wie schmerzhaft solche Kurztermine sind.
PS: Ich habe ihn natürlich gebeten, Tweetdeck wieder heile zu machen. Und ich gebs zu, das Angebot der PR-Dame, meine Verbesserungsvorschläge zu mailen, damit sie es ans Tweetdeck-Team weitergibt, habe ich angenommen.
„TweetDeck wieder heile machen“, das gefällt mir. Hätte nicht gedacht, dass ich mir in meinem Leben mal eine Adobe Air-Anwendung zurückwünschen würde. Aber das ist ein anderes Thema.
Was ich eigentlich sagen wollte: danke. Für den schönen (wenn auch kurzen) Artikel und den Weiterdreh hier. Ich mag es, wenn Journalisten sowas machen. Nur das Wort „Prozessjournalismus“ mag ich nicht. Da denke ich sofort an Gisela Friedrichsen und Sabine Rückert.
@Simon: Noch nennen wir es Prozessjournalismus, bald einfach: Journalismus.
Wollen wir es hoffen. An deinem „bald“ habe ich allerdings so meine Zweifel.