Ich bin mir noch nicht sicher, ob wir in ein paar Jahren die vergangenen beiden Wochen mit EZB-Ansage und ESM-Urteil historisch nennen werden. Wahrscheinlich ja, doch in welchem Kontext, weiß niemand. War dies der Anfang einer Rettung oder der Beginn einer neuen, erst mit zeitlichem Abstand einsetzenden Katastrophe in Form von Inflation? Der große Buy-Out, mit dem die Banken vor dem Untergang gerettet wurden, bevor die Reformen das Finanzwesen berechenbarer machten/ bevor fehlende Reformen uns in die nächste Krise schliddern ließen?
Zumindest ist die Symbolkraft nicht zu unterschätzen: Die EZB mit Mario Draghi begibt sich auf die politische Bühne, doch sie ist ein Akteur, dessen Legitimation in Verträgen, nicht im Votum oder der klassischen Dreiteilung von Exekutive, Legislative und Judikative liegt.
Mit ihrer neuen, offensiveren Rolle werden zwei Dinge wahr: a) Die Herrschaft der Technokraten, von der Politik mehr oder weniger freiwillig abgegeben. Wenn man sich überlegt, wie einst Kaiserkrönungen oder andere institutionelle Veränderungen abliefen, ist dies eine ziemlich geräuschlose Form der Änderung im Machtgefüge. Sie ist auch das Eingeständnis, das die vom Bürger legitimierte Form der Entscheidungsfindung und Handlungsfähigkeit ob der Überforderung der Akteure und Komplexität der Probleme ihre Grenzen gefunden hat. b) Negativ betrachtet, können wir von einem Sieg des Finanzwesens sprechen. Die Krise des Finanzsystems hat eben (noch) nicht zum Primat der Politik geführt, sondern sogar eine Finanzinstitution zum entscheidenden Scharnier des Systems gemacht. Das ist umso erstaunlicher wenn man bedenkt, dass vor wenigen Jahren das wichtigste Instrument der Notenbanken noch der Zinssatz war, der nun überhaupt keine Rolle spielt.
Unvermeidbar war das nicht, zu diesem Zeitpunkt der Krise aber gab und gibt es keine Lösungen ohne Nebenwirkungen mehr. Wir haben eine neue Phase erreicht. Eine Zwischenphase oder eine Andeutung des politischen Kontrollverlusts, der noch kommen wird? Ich wünschte, wir wüssten es.