„Exklusiv: Guttenberg arbeitet für Bitcoin-Startup“ titelte die Wirtschaftswoche gestern in einer Vorabmeldung. Einzig: Diese Information ist nicht exklusiv, sondern steht schon seit 1. Juli auf dem Unternehmensblog von Ripple, das KTG künftig beraten wird. Ich weiß nicht, ob die Wiwo mit dem Ex-Minister gesprochen hat (meines Wissens nach gibt er derzeit selten Interviews), die Zitate sind so zumindest auch in dem kurzen Vorstellungsinterview zu lesen, das der Pressemitteilung anbei gestellt ist.
Jenseits der Frage, warum die Meldung auf die Information zur Quelle verzichtet, ist das eine gute Gelegenheit, über das Label „Exklusiv“ im Journalismus zu diskutieren. Jeder, der in einem Newsroom gearbeitet hat, kennt das Gewicht dieses Wortes. Exklusives signalisiert Neuigkeitswert, schiebt das News-Rad an und sorgt für die Erwähnung als Quelle in Radio- und TV-Nachrichten und auf anderen Portalen. Vorab-Meldungen sind in vielen Redaktionen ein wichtiger Bestandteil der Planung. Und die Kollegen, die Exklusivmaterial beschaffen, gehören in der Regel zu den Besten.
Exklusivität dauert oft nur wenige Minuten
Felix Salmon hat vor einigen Wochen unter dem Titel „Scoops: When journalists masturbate“ den Scoop für tot erklärt. Ich glaube das nicht. Worüber wir aber reden sollten, sind Mikro-Scoops: Ein Papier, das am nächsten Tag ohnehin vorgestellt wird; die erwartbare Äußerung eines Politikers aus der zweiten Reihe zu einem aktuellen Thema; eine Studie oder Umfrage, die durch die vermeintliche Exklusivität vor ihrer Veröffentlichung Interesse erzeugt. Im schlimmsten Falle: der Inhalt einer Pressemitteilung, die erst am nächsten Tag vesendet wird.
Im Print-Zeitalter hatten diese Nachrichten noch eine „Exklusivitätsdauer“ von mindestens 24 Stunden. Im Digitalen sinkt diese Zeit auf wenige Minuten. Den Lesern ist es in der Regel auch völlig egal, wo Herr Huber seinen Senf über Herrn Seehofer abgibt. Er wird wahrscheinlich auch die Wirtschaftswoche nicht kaufen, weil sie angeblich Exklusives über die Guttenberg-Zukunft verraten kann. Am Ende geht es eher um einen internen Medienwettbewerb, den Außenstehende nicht verstehen. Und um das Image.
Was wird aus den Mikro-Scoops?
Doch was bleibt in Sachen Image hängen? Bei den Exklusivgeschichten deutscher Medien aus den vergangenen Monaten, an die ich mich erinnern kann (Mollath, ADAC, Gurlith etc.), handelte es sich nie um das Veröffentlichen einer Information, die ohnehin bald auf den Markt kam. Vielmehr ging es stets um das Aufdecken von Dingen, die viel tiefer unter der Oberfläche versteckt waren und langfristige Recherche brauchten. Als Teil der Medienbranche (und des SZ-Kosmos) verfolge ich, wer wann wie was veröffentlicht hat (hätte ich ein AP-Stylebook, es würde deshalb ein Uwe-Ritzer-Heiligenbildchen darin stecken). Der Leser aber wird hoffentlich das Gesamtpaket beurteilen, also Recherche, Einordnung, Haltung, Originalität (ich kenne allerdings keine Marktforschung dazu).
Welche Rolle spiel also künftig der Mikro-Scoop, die Exklusivität um der Vorabmeldung Willen? Ich glaube: bei den Lesern eine noch geringere als bislang. Und das wäre eigentlich ein gutes Argument, seine Bedeutung auch in den Redaktionen zu überdenken. Dann müssen Kollegen auch nicht mehr Firmenblog-Mitteilungen zur Exklusivgeschichte machen.
Quo vadis, „Exklusiv“? Ich freue mich auf Kommentare.