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Amazon und Ideologie

Jeff BezosDie Arbeitskultur bei Amazon ist in den Blick der Öffentlichkeit geraten. Die New York Times hat ein fundamental wichtiges Stück publiziert, weil es am Ende um mehr geht als eine einzelne Firma. Wem die 100 befragten (Ex-)Amazonians in der NYT nicht genügen, dem seien die Kommentare und dieser HackerNews-Thread empfohlen. Arbeitskulturen sind – auch in Tech – auch Abteilungskulturen, und Menschen reagieren unterschiedlich auf Hochdruck-Umgebungen. Ich hege auch Sympathie für die Idee, dass Mitarbeiter ein Unternehmen mit voller Kraft voranbringen sollen (jeder, der einmal in größeren deutschen Firmen gearbeitet hat, kennt Menschen, die unbehelligt ihre Zeit absitzen). Aber: Es existiert ein Unterschied zwischen einem konkurrenzbetonten und einem unmenschlichen Arbeitsumfeld. Dieser Unterschied ist an der Westküste nicht allen klar, am wenigsten offenbar den Investoren von Andreessen Horowitz.

Es gibt in der Branche genügend andere Stimmen („das Silicon Valley verteidigt Amazon“ ist eben Quatsch) – aber eben doch eine verbreitete Haltung hier, die mehr oder weniger der von Andreessen und Co. entspricht. Nicht umsonst haben A16z und andere VCs die aktuelle Tech-Welle geprägt und steht stellvertretend für eine nochmalige Übersteigerung des Silicon Valley in den vergangenen Jahren, für das Abfeiern des schrankenlosen Kapitalismus als Betriebssystem für Tech, für Marktdominanz und lukrative Disruption als Endziel des digitalen Wandels, für Vulgär-Libertarianismus und Vereinnahmung/Ideologisierung des Konzeptes „Fortschritt“.

Airbnb statt (des alten) Couchsurfings, Uber statt Carpool-Vermittlung, Marktmonopolisten statt Kooperativen. Und eben: Die Rechtfertigung jedes Mittels für die kreative Zerstörung der alten Ordnung. Das ist die Philosophie der Risikokapital-Milliardäre und jener Tech-Millionäre, die so wohlhabend und abgereist sind, dass sie nur noch ein Spiel zu verlieren haben, nicht ihre Existenz.

Das ist nicht Tech als Ganzes, und doch eine mächtige und zunehmend unangenehme Ausprägung, die glorifiziert wird. Und wir Tech-Arbeiter* werden uns entscheiden müssen, wie wir uns dazu verhalten und auf welcher Seite wir stehen.

P.S.: Erstaunlicherweise schreibt (NYT) Public Editor Margaret Sullivan nach mehr als 100 (!) befragten Mitarbeitern und sehr vielen bestätigenden Kommentaren von „anekdotischen“ Beweisen. Wo sollte die NYT Daten herbekommen??? Ganz schwach.

P.P.S: Bizarr wie Jeff Jarvis mit seiner Erzählung „alte Medien = böse, Tech= gut“ eine Karikatur seiner selbst geworden ist. Ich stimme ihm in einigen Newsroom-Analysen zu, aber wenn es um Tech-Berichterstattung geht, kann ich sein ideologisiertes Geraune nicht mehr ernst nehmen.

*ja, ich zähle mich zu diesem Kreis, auch kulturell.

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