Ich bin im Moment weit weg von Deutschland, und alles was gerade dort geschieht, kenne ich nur medial vermittelt oder über Ferngespräche mit Menschen von daheim. Ein seltsames Gefühl, weil sich gerade so viel verändert.
Ich bin hin- und hergerissen: Die Willkommensaktionen waren ein wichtiges Zeichen, weil Großherzigkeit ein überwältigendes Signal gegen die Brandstiftungen in Flüchtlingsunterkünften ist (nicht nach außen, sondern an unser Selbstverständnis). Und ich glaube auch nicht, dass man spontane Menschlichkeit gegen einen Pull-Effekt aufrechnen sollte.
Und doch gibt es diesen Pull-Effekt, und er ist zu einem beachtlichem Teil politisch herbeigeführt. Ich kann Merkels Haltung und/oder Kalkül schwer einschätzen, das alles wird einmal in Geschichtsbüchern zu lesen sein, vielleicht. Ich kann mir gut vorstellen, dass es der Anfang vom Ende ihrer Amtszeit markiert, nur ist das natürlich keine seriöse Prognose, wir können ja nicht einmal absehen, wie die politische Weltlage in zwölf Monaten sein wird oder wo die Wirtschaft absehbar steht.
Es gibt eine Schieflage im Diskurs, deren Folgen ich für schwerwiegend halte: Das Postulat, dass der moralische Akt der Flüchtlingsaufnahme gleichzeitig und wie nebenbei die großen deutschen Probleme – Überalterung und Fachkräftemangel – löst und das Land auch noch facettenreicher macht. Das ist ein Idealbild, und es ist unaufrichtig: Es wird gescheiterte Versuche und massive Probleme geben, die ersten erlebt Deutschland schon bei der Unterbringung und der Frage, wer denn wie einreisen darf und wie groß die Mühen der Bewältigung noch werden.
Ich habe den Eindruck, dass Redebedarf herrscht, auch und gerade über Skepsis und Unbehagen. Es ist nicht gut, wenn zu viele Menschen das Gefühl haben, Veränderung zu erleben, ohne Anhaltspunkte zu erhalten, was sich im Kern verändert und wohin. Und im Zuge dieser Debatte wird Deutschland (+ die EU) auch einen mehrheitsfähigen Konsens finden müssen, nach welchen Kriterien es Einwanderung künftig steuern möchte.
Wenn ich etwas in den USA (deren System und Tradition anders sind) gelernt habe, dann ist es: Einwanderung und Integration funktionieren am besten, wenn beide Seiten – Neuankömmlinge und Eingesessene – wissen, was sie erwartet.
[…] die Flüchtlingskrise nur medial vermittelt und aus Gesprächen mit Menschen daheim. Ich habe ganz am Anfang mal über den Redebedarf geschrieben, das war vor der Tribalisierung der Debatte. Stefan Berg denkt sich von dem Chaos – in uns, […]
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