Apps in ihrer jetzigen Form haben noch ein paar Jahre vor sich, aber ihren Zenit bereits überschritten. Dass mobile Silo-Software nur eine Phase von Mobile ist, gilt in weiten Teilen der Branche als Konsens. Doch was kommt danach?
Beginnen wir mit einer Erkenntnis: Es existiert bereits eine Ebene, die sich vor Apps geschoben hat – Notifications, also Push-Mitteilungen. Adam Bosworth (Ex-Google, offenbar inzwischen bei Salesforce) sprach jüngst in einem Workshop (exzellente Zusammenfassung hier) von einer “Rekonstruktion des kompletten Internets und HTTP von Pull zu Push“. Was das bedeutet? Das hier:
Seeing notifications as an instance of this new push architecture opens up a different perspective. This isn’t about news alerts — it’s much broader — imagine if you never had to “go” to anything on your phone — if everything came to you — present in your primary screen or stream of interaction.
Im Moment ist die Notification-Ebene noch unübersichtlich, weil sie kaum Ordnungsparameter hat: Dem Push-Mechanismus fehlt es sowohl auf Sender-, als auch auf Empfänger-Seite an Kontext.
Das wird sich ändern. Eine Variante ist das Konzept von unsichtbaren Apps, die nur in Erscheinung treten, wenn sie gebraucht werden, die an Vorlieben + Verhalten lernen und Kontext (Geodaten, Aktivität, Sensoren) verarbeiten. Eine zweite Lösung ist eine Art Meta-App, die nicht nur die Kontext-Informationen verarbeitet, sondern auch die Push-Signale als eine Art Torwächter steuert.
Beides ist schon sehr nahe an der Funktionalität eines Betriebssystems. James Higa, ehemaliger Assistent von Steve Jobs und inzwischen Wohltätigkeitsunternehmer/Firmen-Mentor, greift in The Information auf dieses Konzept zurück und nennt es „Stream OS“ (Pay-Link).
Die Meta-Apps, so argumentiert er, existieren bereits: IFTTT zum Beispiel, das mit seinen kombierbaren „Röhren“ unterschiedliche Signale granular steuerbar und an verschiedenen Stellen ausspielbar macht. Oder auf der Ebene der Produktivitätssoftware Slack, das die Mitteilungen in verschiedene Kanäle transportiert (was man wissen sollte: Higa hat in beide investiert). Seine Prognose:
A consumer can use „vertical“ feeds that are actually streams of transactions, with horizontal branches of integrations to other applications and services through APIs. For businesses it means we’re shifting away from the „horizontal, it-does-everything“ OS, which is controlled by one or two companies.
Theoretisch lässt sich in dieser Architektur alles in alles integrieren; in der Praxis sind Google Now (und Now on Tap), Facebook M auch oder Cortana der Versuch, der Endpunkt und damit das „OS auf dem OS“ zu sein, derzeit noch als Mischung aus Pull und Push.
Solche Endpunkte sind ein möglicher Ort für neue oder überraschende Akteure – das perfekte Ordnungssystem kennen wir noch nicht, es könnte der Google-Assistent, aber auch Slack, Uber oder ein anderes System sein. In jedem Fall aber stellt diese Entwicklung alle anderen Akteure vor die Herausforderung, ständig entscheiden zu müssen, wo sie sich sinnvoll integrieren können.
Daraus folgt zwangsläufig auch eine Bewegung vertikaler Aggregation, um die Wertschöpfung zu retten und nicht als einzelner Signalpunkt sein Leben zu fristen. Statt Content ohne Kontext geht es darum, aus Info-Interessen + Verhalten + Kontext den perfekten persönlichen Stream für News zu machen, der an den richtigen Stellen ausgespielt wird.* Statt Laufmeter-Messung könnte die Kombination von Fitness-Daten, Gesundheitsinformationen und geschmacklichen Vorlieben dazu dienen, einen Essensplan zu erstellen, der direkt in das UI des Lebensmittel-Bestelldienstes integriert wird (dessen Aufruf wiederum ebenfalls durch Kontext als Push getriggert wird).
Wann genau diese nächste Mobile-Phase den Mainstream erreichen wird, wie sehr sie meiner Skizze ähnelt und wie stark wir als Nutzer den Kontext kontrollieren werden, ohne zu Mikromanagern zu mutieren – ich wage keine Prognose. Wo ich mir aber sicher bin: Was sich dem Kontext nicht anpassen kann, wird im mobilen Internet keine Chance haben – weder auf dem Mitteilungsschirm eines Nutzers, noch auf dem Markt.
*Facebook Notify könnte in die Richtung gehen, erscheint mir aber auf den ersten Blick eher ein Echtzeit-Play.
Lieber Joha, hab meinen herzlichen Dank für diese exzellente Zusammenfassung. Deine Verdichtung fasst einiges in Worte, das bei mir noch diffus im Kopf keinen Namen hatte.
Sehr interessante Überlegungen. Man könnte sagen, alles dreht sich um mehr Usability der Smartphones. Dabei sind Integrationen der Königsweg, was beinahe logisch ist: Die Relevanz einer App steigt, für je mehr Funktionen ich sie brauchen kan … ohne dass es komplizierter wird.
Was Facebook angeht, muss man wohl damit rechnen, dass sie sich an Wechat orientieren. Das scheint eine unbeschränkt vielseitige Produktivitätsplattform für den Alltag zu sein. Dazu neulich schon sehr interessant wired UK (http://bit.ly/1KYTWLW inside Zuckerberg’s app for everything) und gerade heute auf medium.com sehr spannender Bericht „product insights from wechat“ ( http://bit.ly/1KYU666 ).
„WeChat has grown from a chat and messaging app into China’s most impactful and engaged platform for communication, services, and payments with over 600 million monthly active users …“ und offenbar mit einer schnell steigenden täglichen Nutzungsfrequenz.
@Fritz Iv: WeChat ist bis zu einem gewissen Grad die Blaupause für Messenger 2015, wobei M eher darauf hindeutet, dass die einzelnen Funktionen per lernendem Assistenten integriert werden (der seinerseits im Backend integrierte Dienste ansteuert). Mal sehen, FB hat verschiedene Möglichkeiten, aber das richtige Maß scheint irgendwo zwischen Überfrachtung und überflüssigen App-Auskopplungen (wovon es schon einige gibt) zu liegen.
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