Stefan Berg schreibt für den Spiegel und lebt auf dem Land in Brandenburg. Seitdem er vergangenes Jahr eine fabelhafte Heimatgeschichte verfasste, ist er auf meinem Radar und ich lese seine Texte mit großem Gefallen. Er schreibt ehrlich, menschlich und schämt sich nicht, zu suchen, statt Antworten zu verkaufen. Nebenbei ist er ein gutes Beispiel dafür ist, dass wir in Deutschland mehr Journalisten großer Medien brauchen, die nicht in den Metropolen leben.
Im aktuellen Spiegel ($-Link, Blendle) hat er über sein neues Bedürfnis nach Grenzen geschrieben. „Berührungsfurcht“ heißt der Text, und er ist eine Meditation über Deutschland, Veränderungen und die Gegenwart. Ein Auszug:
Die Kommunikation zwischen beiden Bevölkerungsgruppen aber ist gestört. Die „Heimat-Deutschen“ fühlen sich hilflos und missverstanden, im Diskurs der politischen Klasse finden sie sich nicht wieder. Die rechte Ecke wird ihnen zugewiesen, also richten sie sich in ihr ein. Die Gruppe der „Weltbürger“ ist formulierungsgeübt. Ihre Anhänger freuen sich, die anderen auf dem völkischen Fuß zu erwischen. Die Weltbürger schreiben „Nazi“. Die andern twittern zurück: „Volksverräter“. Den Worten folgen bereits Steine.
Das Essay ist als Ganzes lesenswert. Ich war schon lange nicht mehr in Deutschland und kenne deshalb die Flüchtlingskrise nur medial vermittelt und aus Gesprächen mit Menschen daheim. Ich habe ganz am Anfang mal über den Redebedarf geschrieben, das war vor der Tribalisierung der Debatte. Stefan Berg denkt sich von dem Chaos – in uns, um uns und zwischen uns – zurück in Richtung eines festen Bodens. Und erinnert daran, dass das eine sehr gesunde Denkbewegung ist.
Hmm … tja … die Zeiten sind schwierig in Deutschland. Das Zitat von Stefan Berg klingt vernünftig deeskalierend und ist mir daher sympathisch … alleine … die Dinge sind irgendwie anders … das, was hier in Deutschland passiert hat nicht mehr viel mit Menschen zu tun, die nicht mehr miteinander reden, sondern damit, dass Geisteshaltung und Methoden, die sich kaum vom frühen (und was die Geisteshaltung angeht auch vom späten) Nationalsozialismus unterscheiden lassen wieder da sind. Also jetzt echt und ganz im Ernst. Ich meine … das ist doch das Versprechen, dass wir ja junge Bundesbürger implizit gegeben haben … es nie wieder zuzulassen, dass solche Dinge in Deutschland passieren. Und jetzt passieren sie. Jetzt werden Menschen eingeschüchtert, angegriffen und Häuser und Jubel in Brand gesteckt, und all für die Illusion eines Nationalismus, den es so nie gegeben hat und nie geben wird.
Ich kann wirklich nicht sehen, was man dem ausser „so nicht“ entgegensetzen sollte …
Im Bezug auf Elemente (Clausnitz etc.) gebe ich Dir recht. In der geschichtlichen Perspektive ist der Bezugspunkt Nationalsozialismus sicher richtig, in der Gegenwart sehen wir eine Europäisierung Deutschlands (im Sinne von durch Nationalismus und Ängste in der Mehrehitsbevölkerung geprägten Populismus). Das „so nicht“ wird glaube ich von einer sehr großen Mehrheit der Bevölkerung geteilt, die gegenwärtige Einwanderungspolitik dagegen kritisch gesehen. Es gibt in Deutschland immer die Angst, dass man von der Leiter rutscht und im Faschismus endet, und ich fühle sie als Kind des späten 20. Jahrhunderts auch. Gleichzeitig glaube ich nicht, dass durch den Einzug von Rechtspopulisten in diverse Parlamente plötzlich jede Form von Debatte unmöglich wird – er ist auch eine Reaktion auf eine immer schwerere Unterscheidbarkeit der aktuell im Bundestag vertretenen Parteien. Als Land, in der politische Meinungsbildung häufig auf Konsens basiert, ist das ungewohnt, aber vielleicht nur eine Evolutionsphase. Das ist die optimistische Auslegung. Die pessimistische Auslegung: Deutschland geht es so gut wie keinem anderen Land in der EU, trotzdem herrscht ein Gefühl von Hysterie. Was bedeutet das erst, wenn wir wirklich wieder mit Härten und Phänomenen wie Massenarbeitslosigkeit konfrontiert werden?
Jaha … da hast Du sehr recht. Wie geht das hier wohl erst ab, wenn es uns wirklich schlecht gehen sollte. Dem Nationalsozialismus ging vermutlich auch nicht konsequenzlos die Weltwirtschaftskrise der 20er voraus.
Und Du hast natürlich auch Recht. Das hier ist nicht das Ende der Demokratie. In erschreckend grossen Kreisen der Bevölkerung sind Geisteshaltung und Methoden des Nationalsozialismus wieder lebendig, aber ich denke auch, dass es sich hierbei eigentlich immer noch um sehr kleine Kreise handelt. Nicht jeder AfD-Wähler wirft Brandsätze. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die allermeisten Menschen in Deutschland von den Werte des Grundsetzes überzeugt sind, und daran festhalten und diese auch verteidigen.
Ich glaube sogar, dass Du noch mehr Recht hast, als Du vielleicht vermutest. Die Stimmung im Land und in der Presse ist wirlich nachgerade hysterisch. Uuund: Das ist ja kein neues Phänomen. Götter, ich weiss noch, was das Land einen ganzen Sommer lang auf Griechenland eingedroschen hat. Heute interessiert das niemanden mehr. Ich fürchte, das wird mit der AfD nicht so schnell gehen, und wir werden noch lange Probleme mit dem Rechtsextremismus haben, aaaber ich bin auch sicher, dass das, was gerade passiert ein Überhitzungseffekt ist.
Und doch: All das macht es uns „Weltbürgern“ nicht einfacher mit den „Heimat-Deutschen“ zu sprechen. Es ist schwer auszublenden oder gar wieder „herauszurechnen“, dass Pegida und AfD, nicht entscheidende Schritte auf dem Weg zu brennenden Häuser und einer neuen SA sind.
[…] Mit jedem Monat der vergeht ich bin glücklicher, dass es Jakob Augstein gibt. Ich versuche im Nachklang zum Artikel von Johannes ja immer noch die „Heimat-Deutschen“ zu verstehen. Was treibt diese Leute auf die […]
[…] die Menschen, die eigentlich hier hergekommen sind. Es ist ein Diskurs, indem sich – wie ich das vor einer Weile schon bei Johannes las und wie sich beim Parteitag der AfD und deren Programm gezeigt hat – zwei Gruppen von […]