Dieser erstaunliche Moment, wenn sich die Größenverhältnisse verschieben: In Coyoacán, dem Stadtteil im Süden Mexico Citys, schrumpft ein kleiner Teil des 20. Jahrhunderts auf Fußweite zusammen. Vom „blauen Haus“, das Frida Kahlo und Diego Rivera bewohnten, bis zu Leon Trotzkis rotem Haus ist es nur die Straße runter und einmal Abbiegen. Ich weiß nicht, wie häufig die drei den Weg gegangen sind, denn das Künstlerpaar war seit 1939 nicht mehr gut auf Trotzki zu sprechen. Genauer gesagt hatten sie ihm und seiner Frau zunächst die Einreise ermöglicht, die beiden 1937 bei sich aufgenommen und dann schließlich hinausgeworfen, weil die beiden Männer sich nicht mehr verstanden.
Ich weiß nicht, was nicht erstaunlicher finden soll: Dass der schon lange kaltgestellte Trotzki hier neben Selbstmordgedanken auch Hasen, Hühner und Kakteen züchtete. Dass er hier von einem eingeschleusten Stalin-Agenten in seinem Büro (den Gartenweg runter) erschlagen wurde und die Asche der Trotzkis jetzt hier im Garten eingemauert ist. Oder dass die starke Verbindung von Kunst und Politik uns so weit weg erscheint, die sich im „Manifest für eine unabhängige revolutionäre Kunst“ wiederspiegelt, einem gemeinsamen Essay von Trotzki, Rivera und André Breton.
Im Spätkapitalismus der Industrienationen nimmt Kunst meist die Rolle eines politischen Meta-Kommentars ein, wenn sie sich überhaupt eine Berührung dieser Sphäre traut. Natürlich gibt es Hinweise auf Missstände, aber an wen richtet sich in einer entideologisierten Gesellschaft die Kritik? Der Kommunismus ist als Alternative diskreditiert, so wie jede Alternative selbst diskreditiert scheint – wir können uns das Ende der Welt besser vorstellen als das Ende des Kapitalismus. Das macht bequem, und Kunst muss nichts, also auch nicht Gegenentwürfe anbieten oder einfach über die Kritik an den Symptomen der Gegenwart hinausgehen (am besten noch ironisch, geschützt in der Haltung der Uneigentlichkeit).
Und natürlich sehen wir gerade den Kommunismus nicht nur im blutigen, sondern auch im lächerlichen Gewand, als zum Scheitern verurteilt. Vielleicht macht uns das taub für die Möglichkeit gesellschaftlicher Gegenentwürfe, vielleicht auch blind für die noch diffus erscheinenden Gefahren des 21. Jahrhunderts. Ich habe leider nicht das Gefühl, dass ich dazu absehbar in der Welt der Kunst und Künstler nach einer größeren und mutigen Antwort suchen muss (und das ist schade, weil Kunst doch alles darf!).