Kurz angeknüpft an die Antwort von Roy Greenslade auf ein weiteres Jarvis-Riff zum Ende der Massenmedien.
Ich bin pessimistisch, dass die meisten Verlagshäuser etc. rechtzeitig ein adäquates digitales Geschäftsmodell finden, um den anstehenden Einbruch des Print-Geschäfts zu überbrücken. Jarvis fällt dazu auch nichts ein, außer wie seit Jahren Experimente zu loben.
In Deutschland halte ich a) weitere Fusions-Erleichterungen b) die Anerkennung von Gemeinnützigkeit von Nonprofit-Journalismus für die wahrscheinlich nächsten Schritte. Davor kommt der reduzierte Mehrwertsteuersatz für digitale Presseerzeugnisse, aber der hat mit der Lösung der Strukturfragen nichts zu tun.
Eventuell wird es in ein paar Jahren auf eine Form von Bailout durch Medienabgabe hinauslaufen, aber das ist – auch angesichts der Lügenpresse-Rufe – genauso unsicher wie auf technischer Ebene bessere Bezahlstrukturen durch Blockchain oder Plattform-Abrechnungen, die zumindest kleinere Einheiten von Legacy-Medien retten. Wahrscheinlich ist es einfacher zu prognostizieren, was kommen wird, als was übrig bleibt.
Was ich am Horizont sehe:
- Kontextabhängige Systeme zur Nachrichtendistribution, wobei Nachrichten sehr viel breiter gefasst werden. Push macht auch keinen Unterschied zwischen “Weltereignis” und anderen Signalen. Ich habe hierzu schon einmal etwas geschrieben und bin skeptisch, dass Content-Produzenten hier an der Wertschöpfung größer teilhaben werden, wenn sie nicht selbst zu Technologie-Akteuren werden.
- Die Form des Journalismus, die wir heute noch als “Data Journalism” bezeichnen, der aber stärker an Datenerhebung/Wissenschaft (rücken wird. Beispiel: Armut in Deutschland anhand von Statistiken, Umfragen und draußen im Feld, im Dialog.
- Obige Organisationen können genau wie kleine, nach Themen agierende Einheiten von Stiftungen oder Mäzenen (auch im Sinne von Crowdfunding-Mäzenentum) bezahlt werden. Themen-basierte Akteure sind auch nicht immer auf direkte Monetarisierung angewiesen (vgl. simples Interesse oder Reputationsaufbau, der andere Einnahmequellen erschließt).
- Mäzenen-/Stiftungs-/Crowd-Finanzierung spielt auch für investigative Journalisten(kollektive) eine Rolle, die sich auf gesellschaftlich relevante Themen konzentrieren (Informationsfreiheits-Anfragen würde ich dazu zählen). In allen genannten mit finanziellem Ausgleich verbundenen Fällen gibt es ethische Fallstricke.
- Hyperlokale Berichterstattung mit fließenden Grenzen zum Aktivismus, unbezahlt und instabil, um Geo- und Interessensgemeinschaften gebaut.
- “Lebenswelten”-Communitys, aus kleinen Einheiten erstellt und durch Native Advertising bezahlt oder direkt von Marken unterhalten (vgl. Red Bull)
- Weiterhin (hoffentlich) ein öffentlich-rechtliches Mediensystem für die Grundversorgung, aber (hoffentlich) strukturell stärker von politischer Nähe entkoppelt.
Die Prognose ist nicht gerade optimistisch, aber ich lasse Platz für positive Überraschungen, neue Berufsbilder oder gefundene Querfinanzierungen. Das Endspiel ist ohnehin nicht die Rettung der Verlage, sondern eine informierte Gesellschaft, und dafür braucht es eher Struktur- als Format-Arbeit. Auch wenn ich mir natürlich wünschen würde, dass mit gutem Journalismus perspektivisch Geld zu verdienen ist.
Das klingt wie ein Aufbäumen gegen die Ratlosigkeit …
Meine 2 Cent: Wenn die Massenmedien am Ende ihrer Geschichte angelangt sind, kann ja nur Geschichte der Aufsplitterung anfangen. Die Aufsplitterung kann produktseitig erfolgen („Entbündelung“, Spezialisierung, „Fachdienst“) und auf Seiten des Publikums (Nischen und Lese-Vagabunden). Das addiert sich dann eben so, wie es schon zu beobachten ist, nämlich dass die Menschen sich ihre individuellen Bündel selbst zusammenstellen: Eklektizismus.
Wenn man sich überlegt, wie in dieser Welt der fraktalen Angebote und der fraktalen Nutzung das seriöse journalistische Geschäft fortbestehen kann, dann kommt man mEn nicht darum herum, sich einzugestehen, dass sich die Kaufgründe für Journalismus grundlegend gewandelt haben. Vor der Epoche des Info-Überflusses abonnierte man eine Zeitung, wenn man an sich selbst den Anspruch hatte, umfassend über das Geschehen in der Welt informiert zu sein. Man kaufte Nachrichtenversorgung wie die Stromversorgung. Die Journalisten selbst setzten die Relevanz (was in der Zeitung steht, ist wichtig), der Leser wählte lediglich seinen Versorger aus.
Der Wunsch, versorgt zu sein, ist weg – erstens ist man jetzt über TV und Netz bestens grundversorgt, zweitens ist aber auch der Wunsch auf dem Rückzug über „alles Wichtige“ informiert zu sein. Jetzt wird persönliche Relevanz gekauft – was man lesen will, nicht was man lesen müsste.
„Kleine, nach Themen agierende Einheiten“ sind da vermutlich ein möglicher Ansatz, die spezifische Leseinteressen zu bedienen.
Dabei tauchen 2 Probleme auf: Das eine ist, wie man relevanzbezogen distribuiert. Natürlich sind Plattformen, die maximale Reichweite zusammenballen, im Vorteil, und sie könnten extrem nützlich für Verlage sein, wenn das z.B. mit einem verlagsneutralen Prepaid-Bezahlmodell á la Blendle verbinden ließe.
Das zweite Problem ist aber vielleicht bedrohlicher, nämlich ob es überhaupt noch genügend eigenständig interessierte Leser gibt, die breiter und tiefer leseinteressiert sind?
Von Nutzerseite ist das Problem übrigens: Wie entdecke ich in der Flut der Angebote die Artikel, die mich interessieren, die ich gerade wichtig finde, die ich unbedingt lesen möchte? Die Kuratierdienstleistungen (piqd, niuws, Blendles Themen-Alert, Newsletter aller Art, etc. pp.) sind daher in sich relevant. Das Relevanz-Setzen ist dabei witzigerweise wieder eine klassische Journalisten-Service fürs Publikum.
Ich kann gut verstehen, wieso Verlage zögern, ihre Marke zu sprengen, aber aus Lesersicht hätte natürlich eine Zeitung auch dadurch mehr Relevanz fürs Publikum, dass sie auch jenseits ihrer eigenen Produktion Wichtiges vermittelt.
Vielleicht wird der Zeitungsverlag mehr einem Newsletter-Imperium gleichen, der täglich kostenpflichtige Letter an 3.000 unterschiedlich geschnitzte Interessensgruppen verschickt?
@Fritz IV: Sehr guter Kommentar, wie immer! Die Ableitung von Online-Medien aus den Legacy-Produkten ist IMO ein großes Hindernis bei der Entwicklung neuer Produktansätze, aber natürlich auch Voraussetzung, dass beide Seiten ineinander verzahnt werden können. Die Frage nach dem Interesse einer größeren Leserschaft… schwierig.
Der Verlagsjournalismus hat das Problem, dass das aktuelle Produkt (im Sinne von „ein Content-Item“) a) häufig schwer zu unterscheiden ist und b) eine kurze Halbwertszeit hat. Genauer gesagt ist das auch ein Wahrnehmungsproblem. Netflix ist ein Beispiel für ein Bundle, das im Long Tail immer schlechter wird (da sie bei den Verträgen mit Content-Partnern sparen), aber durch guten Anschub und ein paar Eigenproduktionen in Kombi mit dem psychologisch relevanten 10-Dollar/Euro-Preis einen „wertigen“ Eindruck macht, respektive unverzichtbar wirkt. Das ist eine Bundle-Strategie, die funktioniert (und letztlich auch die der Zeitung war, vgl. Rolle des Sportteils). Aber dafür müssen heute a) und b) gelöst werden. Mittelfristig ließe sich vielleicht mit Mikro-Communitys auch eine schlaue Distribution aufbauen. Doch jede relevante Zielgruppe wird x verschiedene Angebote für ihr Informationsinteresse haben, sobald sie sich als lukrativ oder reichweitenstark herausstellt. Und in diesem //Angebot >>> Nachfrage//(it’s only content!) sehe ich das Problem, das sich durch die Produktion von Inhalten nicht lösen lässt.
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