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Trump als Mann ohne Eigenschaften

David Auerbach, einer der klügsten Denker zwischen Software und Gesellschaft, macht auf Crooked Timber eine interessante Beobachtung: Trump als gegenwärtiger Moosbrugger, dem Lustmörder aus Musils „Mann ohne Eigenschaften“ (von dem ich, Disclosure, nicht einmal das erste Buch zu Ende gelesen habe, was allerdings nicht am Roman liegt).

Sein Stück ist lesenswert, auch wenn Trump-Psychologisierung natürlich – wie bei allen Politikern vor und dann später wieder als Gegenbewegung zu ihrer Historisierung – immer Pop-Psychologisierung ist. Ein Auszug:

„Trump’s psychology only makes sense after this traditional conception of ego is discarded. I do not think that the ADHD-addled Trump cares how he is remembered; all there is for him is the attention, the worship, the now. For Trump, who defines himself only against his immediate surroundings, liminal forms of relating take precedence over any and all values, facts, or even goals. This lack of temporal awareness and planning may be his downfall, since all he knows is immediate escalation and pandering in pursuit of the immediate win. If he amassed an army of brownshirts, he couldn’t be bothered to give them orders.“

Trump als Mann ohne Eigenschaften (die Bezeichnung bezieht sich bei Musil nicht nur auf Moosbrugger) und entkernte Persönlichkeit ist ein Motiv, das auch im Parteitagsbericht des fabelhaften Eliot Weinberger in der London Review of Books anklingt und sich in mein Gedächtnis eingegraben hat:

„His self-aggrandisement is so unbounded, his persona has eaten his person. He routinely refers to himself as ‘Trump’ or ‘Mr Trump’ and even his family members at the convention struggled to come up with some anecdotes about the man who inhabits this character.“

Angesichts dessen, was Der Mann ohne Eigenschaften an geschichtlichen Entwicklungen vorwegnimmt, lässt dies natürlich schaudern. Im Roman heißt es doch auch: „Wenn die Menschheit als Ganzes träumen könnte, müßte Moosbrugger entstehn.“

Ich fürchte nicht die Wiederholung der Geschichte, die Parallele ist mir zu schlampig. Was ich fürchte, ist ein Zeitalter allgemeiner Entkernung im streng gezogenen Rahmen jener Normcore-Identität, in der nur der Konsumerismus als Ritual und Regel verbleibt. Und würden wir uns in unserer Entkernung nicht nach einem Menschen ohne Eigenschaften sehnen, in dem wir unser Spiegelbild – oder sogar das, was wir verloren haben – erkennen?

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  • 💬 Helsinki und das Nichts – kopfzeiler.org

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