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Das Wesentliche

Sunrise

Es gäbe eine Menge zu schreiben, aber auch eine Menge zu tun. Wir müssen das verschieben.

Nur eines: Das Wesentliche.
Daran fehlt es gerade, wo auch immer ich hinblicke. In den politischen Diskussionen, die von Personentheater der USA bis zu Symptomdebatten und -gesetzen in Deutschland reichen. Und das ist noch der harmlose Teil.
Im Journalismus, wo allzu oft Ereignis-Knöpfe ausgedrückt statt Glühbirnen im Hirn elektrisiert werden.
In Tech, wo das Silicon Valley zu einem überteuerten Club selbstverliebter MBAs geworden ist, der sich immer weiter weg von der Reflexion seines Handelns und seiner Ziele driftet.
In der Frage des menschlichen Überlebens und des Klimawandels, die mit homöopathischen Dosen von Veränderung unseres Systems beantwortet wird.
In der Frage nach unserer demokratischen Vorstellungskraft im Zeitalter des Spätkapitalismus.

Aber ich bin trotzdem optimistisch, dass das nicht alles in einer großen Leere endet oder wir nur durch die Katastrophe lernen werden.
Denn der Wunsch nach dem Wesentlichen ist menschlich, und er wird immer größer, je mehr wir die Zeit mit dem ganzen Rest vertun.
Bei mir zumindest.
Und das Wesentliche ist nicht nur privat, es ist auch politisch. Es zu suchen ist schmerzhaft und befreiend zu gleich. Es macht uns vom Objekt zum Subjekt.

Vielleicht stehen wir ja in Wahrheit nicht vor dem Zeitalter des dauernden Hasses, der Konflikte und der Gereiztheit, dem Sieg des Kapitalismus über die Demokratie, dem der Identität und Schubladen über den Verstand. Sondern einfach vor einer Zeit der Veränderung.
Zum Besseren? Das klingt nur naiv, wenn man den Glauben an diese Möglichkeit bereits aufgegeben hat.

5 Gedanken zu „Das Wesentliche“

    Konstantin Weiss sagt:

    .

    ben_ sagt:

    Ich hoffe, das klingt in all dem Lob, das ich hier ja häufig über Deine Text und Gedanken schütte nicht langsam wiederholend: Ganz toller Text! Grossartig Perspektive.

    Hatten wir schon über „Doing good better“ und Effective Altruism von William MacAskill gesprochen?

    Hardy der alte Hippie, hat bei mir ja in den letzten Tagen zwei lange Statements wider das TINA-Prinzip kommentiert. Und wie sooft komme ich latürnich zu dem Schluss, dass er Recht hat. Seine Hauptkritik, die Deinem Punkt hier sehr ähnelt: Es gibt zuwenig „grosse Träume“.

    Was ich mich anlässich dessen gefragt habe: Warum ist das wohl so? Hat es was damit zu tun, dass die grossen, generationsweiten Träume sich zu oft als Sackgassen entpuppt haben, und die kleine Träume einfach effektiver umsetzbar sind? Und ist das vielleicht auch okay so? Müssen wir uns vielleicht mit einem dezentralen Fortschritt begnügen, der in sehr vielen verschiedenen, sehr kleinen Schritten vorwärts geht? Und wenn ja: Wie erkennen wir ihn dann noch als Fortschritt?

    Die erste Wahlkampfzeit Obamas war für mich – rückblickdend – das letzte Mal, dass ich den Eindruck hatte, dass sich etwas auf der ganz grossen Ebene gemeinsam nach vorne bewegt. Aber ich würde jetzt schon auf seine Amtszeiten zurückblickend sagen: Er hat zwar Dinge verändert, aber den grossen „Change“ im Sinne der Bewegungen der 60er ist ausgeblieben.

    Alfons sagt:

    Nur, wem werfen wir jetzt vor, dass das Wesentliche aus dem Blick geraten ist? Politikern ganz bestimmt. Es wäre ja ihre Zuständigkeit. Journalisten mit Bestimmtheit auch, machen die eigentlich noch was anderes als Politikerstatements aus Agenturmeldungen abschreiben? Aber Vorwürfe bringen uns auch nicht weiter. Die Frage, ob wir uns vor dem Sieg des Kapitalismus über die Demokratie befinden geht schon vom Narrativ, dass Demokratie herrscht, aus, was eines der nachgeplapperten Politikerstatements ist.

    Ich glaube nicht, dass es am Wesentlichen fehlt. Ich glaube nur, dass es, s. erster Absatz, kaum sichtbar ist, weil Information heute nichts mit Qualität, sondern mit der Macht sie verbeiteten zu können (oder verbreiten zu lassen) zu tun hat.

    Was wäre denn das Wesentliche? Freiheit. Selbstbestimmung. Privat und politisch. Kann man sowieso nicht trennen, seit die Politik bis ins privateste hinein alles vorschreibt. Demokratie auch, echte, wäre ja Selbstbestimmung. Es gibt Leute, die sich mit dem Wesentlichen befassen: http://www.oqgc.com. Politiker hassen Sie, weil sie ihre Macht bedrohen und die Medien ignorieren sie, weil Sie ihre Aufgabe im Dienen der politischen Kaste sehen, während sie gleichzeitig das gegenteil behaupten und vielleicht sogar glauben, so geht das Wesentliche unter.

    joha sagt:

    Entschuldigt die späte Antwort, ich war auf Reisen!
    @Ben: Wow, die Antwort auf die Frage ist vielschichtig. Es gibt zum Beispiel die einleuchtende Theorie, dass Occupy Wall Street (und damit auch Bernie Sanders) keine völlig verändernde Bewegung werden konnten, weil es in den USA – anders als in den Sechzigern – nicht mehr genügend junge Menschen gibt. In Deutschland spielt das definitiv auch eine Role.
    Aber natürlich spielt IMO noch eine ganze Reihe anderer Faktoren hinein – das Schrumpfen von Kulturmarkern wie Text und Musik auf schnell konsumierbare Elemente, das – vor allem durch die Bankenkrise 2008 und das moralische Scheitern des Westens dort – vorherrschende Gefühl, Objekt in einem Firmen-Politik-Konglomerat zu sein, in dem die größte vorstellbare Selbstverwirklichung die Teilnahme/Teilhabe an diesem System ist, ohne dort ein nennenswertes Rädchen drehen zu können. Die spirituelle Leere, in der Yoga und Meditation nur Werkzeuge für das bessere Funktionieren sind. Und die Einfallslosigkeit, dass es noch ein anderes System geben könnte, weil Kommunismus gescheitert ist und es uns am Ende ja nicht sooo schlecht geht.
    Aber ich weiß eben nicht, ob der kleine Fortschritt angesichts von wachsender Ungleichheit (die ja jeden auf der persönlichen Ebene beschäftigt, vgl. Mittelschicht-Sorgen wg. Abstiegsgefahr) oder Klimawandel genügt.
    @Alfons: Danke für den Link! Demokratie ist wie Wohlstand am Ende eine relative Sache, sobald bestimmte Grundvoraussetzungen erfüllt sind. Aber natürlich schwingt darin das Ende der Erzählung mit, dass Demokratie und Kapitalismus sich beide nebeneinander ausbreiten können, ohne aneinander zu stoßen. Das hat sich – trotz sozialer Sicherungen und Wohlstandswachstum – als Illusion herausgestellt. Und ja, damit der Kapitalismus nicht mehr auf Kosten der Demokratie wächst, bräuchte es hier auch ein Ideen-Update. Eine Sache noch: Ich weiß nicht, ob es die „Macht der Verbreitung“ im digitalen Zeitalter noch so hierarchisch gibt – es ist eher so, dass jeder das glaubt, was er glauben möchte. Ich bin kein Anhänger von Politiker-Kritik ohne den Kontext des Systems, in dem diese agieren (vgl. Demokratie vs. Kapitalismus). Natürlich sind wir am Ende bei einer politischen Frage, aber Veränderungen finden selten ohne Druck statt, und der ist von allen Seiten groß (von „Handlungsfähigkeit demonstrieren“ bis „Arbeitsplätze sichern/schaffen“).

    joha sagt:

    @Ben: Mit William MacAskill habe ich mich am Rande beschäftigt, neulich hatte auch Peter Singer Geburtstag, wodurch ich ein bisschen in seine Sachen gestolpert bin. Diesen Text fand ich sehr gut dazu: http://www.lrb.co.uk/v37/n18/amia-srinivasan/stop-the-robot-apocalypse (Longread)

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