Plaquemines Parish drowns tonight
When the morning comes, it will all be underground
(Jean Hates Sunrise: Plaquemines Parish)
Durch die Ninth Ward durch, raus aus der Stadt, an der Zucker-Raffinerie und den Fabriken vorbei, ein Stück den Mississippi runter. New Orleans, ich hatte es erwähnt, ist ein kaputtes Paradies. Aber hier draußen ist wenig Paradies, sondern vor allem postindustrielle Kargheit.
Entlang der Straße wird es schnell einsam. Verlassene Häuser, verbarrikadiert und dem Verfall preisgegeben. Zwischendurch dann wieder etwas Bewohntes, und ich frage mich, ob die Vertriebenen oder die Gebliebenen es besser haben.
Wer abseits der beiden großen amerikanischen Küsten lebt, trifft auf unterschiedliche Formen von Besiedlung und Entvölkerung. Natürlich gibt es auch hier draußen die Trailerparks, jene mobile Lebensform, die Europäern im Urlaub gerne das Amerika-Bild versaut. Doch etwas ist hier anders, die leeren Häuser sind groß und würden normalerweise schnell einen Käufer finden.
Der Bezirk hier, Plaquemines Parish, ist nicht besonders arm, das geht in Louisiana schlimmer. Es gibt noch Industrie entlang des Missisippi und ein bisschen Fischerei, auch nach Deepwater Horizon. Nahe der Flussmündung weiter südlich ist das große Terminal, wo sie die Kohle nach Europa und Thailand verschiffen. Oregon und Washington State wollten nicht mehr, Louisiana als Diener der Öl- und Chemieindustrie nimmt noch dankbar jeden Dreck, auch wenn die Anwohner den Ausbau letztes Jahr verhindert haben, weil Atemwegskrankheiten ganze Siedlungen plagen.
Aber Plaquemines Parish hat in den vergangenen Jahren begonnen, sich aufzulösen, nicht nur wegen des Landverlusts durch den steigenden Meeresspiegel: Im Süden traf hier 2005 Katrina auf Land. Dann Deepwater Horizon 2010, das Öl kam vom Meer rauf.
Und schließlich: Hurrikan Isaac 2012. Wir machen in Braitwaithe Halt. Später erfahren wir, dass hier alles überflutet war, weil der Damm nicht gehalten hat.
In New Orleans fiel damals der Strom aus, hier mussten die Menschen überhastet fliehen. Viele kamen nie zurück, in den Häusern liegen noch Sachen. Vielleicht gehören sie auch Hausbesetzern, aber wer würde hier wohnen wollen?
Die Natur holt sich die Siedlung zurück, so wie sich die Natur hier schon immer nimmt, was sie möchte. Vielleicht sollte man die jüngere Geschichte des Süden Louisianas auch als tödliche Umarmung von Mensch und Natur verstehen, als unterschiedliche Prozeduren der Zerstörung.
In den vergangenen Jahren hat Plaquemines Parish mehr als 15 Prozent seiner Einwohner verloren. Der nächste Hurrikan kommt bestimmt, die Unverwüstlichen unter den wohlhabenden Hausbesitzern haben ihre Gebäude auf zehn Meter hohe Stelzen gesetzt. Andere sind einfach gegangen, weil die Hochwasserversicherung inzwischen einen fünfstelligen Jahresbetrag kostet.
Als ich später die Geschichte der Gegend nachlese, fällt mir auf, dass ich auch ein Haus fotografiert habe, in dem bei Isaac zwei Menschen ums Leben gekommen sind. Ein älteres Paar, das eigentlich nach Costa Rica auswandern wollte, es aber nie geschafft hat. Sie blieben, als der Sturm kam, und ertranken in ihrer Küche.
Es ist ein friedvoller Ort mit einer großen Eiche. Im späten Frühjahr, wenn die Moskitos noch nicht geschlüpft sind und die Sonne noch nicht unerbittlich brennt, könnte es ein Paradies sein. Doch ich habe gelernt, dass das Friedvolle hier niemals einfach friedvoll ist. Der nächste Kollaps der Zivilisation wartet, nur eine weitere Katastrophe entfernt.
Schöner Artikel mit nicht so schönem Gegenstand.