Die Steuerreform der Republikaner ist ein weiterer Schritt zu jenem Ziel, das immer größere Teile der amerikanischen Konservativen bereits seit Mitte des 20. Jahrhunderts verfolgen: Die Abschaffung des New Deals, jener Gesetze also, die den USA in den 1930ern ein Sozialsystem bescherte, das diesen Namen auch verdient.
Inzwischen geben sie sich nicht einmal mehr Mühe, die Umverteilung von unten nach oben, von öffentlicher in die private Hand, argumentativ zu rechtfertigen. Müssen sie auch nicht. Für sie geht es um die Erfüllung von Großspender-Interessen. Für die meisten Anhänger geht es um das “Gewinnen” – wenn der aktuelle Präsident etwas erreicht hat, dann die Vollendung des Werks, das Talk Radio und Fox News über Jahrzehnte betrieben haben: Trump ist für viele Menschen nicht mehr der amtierende Coach von Team USA, dessen Bewertung vom Erfolg abhängt. Er und seine Gefährten sind das Team.
Der politische Prozess war ein Skandal und es wird einmal in den Geschichtsbüchern zu lesen sein, wie viele Lobbyisten an der letzten Fassung mitgeschrieben haben. Der nächste Schritt ist klar: Angesichts des massiven Defizits werden die Republikaner Forderungen nach einer “Reform” des Sozialsystems, der öffentlichen Gesundheitsprogramme und des Bildungswesens erheben, die aus massiven Kürzungen und Privatisierungen besteht. Das wird schwieriger, aber nicht unmöglich: Die republikanische Partei betreibt die Entsolidarisierung der Gesellschaft, die Aktivisten am rechten Rand treiben die Entmenschlichung von politischen Gegnern und jenen voran, die angeblich ohne eigenen “Verdienst” Leistungen erhalten – Arme, Minderheiten und Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis. “So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht”, sagte einst Margaret Thatcher. In den Vereinigten Staaten lässt sich erleben was passiert, wenn die Politik dieses Mantra ernst nimmt.
Der amerikanische Individualismus und die aus ihm geformte Struktur der Gesellschaft hilft ihnen dabei. Wie ich schon häufiger geschrieben habe: In den USA ist es noch einfacher als in Deutschland, sich davon abzukapseln, was diese Politik anrichtet. Vorausgesetzt, man hat ein bisschen Geld und Status. In sozial segregierten Städten wie New York, San Francisco oder Austin können progressive Amerikaner auf der moralisch richtigen Seite leben und auf irgendwelche Russland-Beweise hoffen, ohne überhaupt die Folgen der Trump-Ära im Alltag zu spüren.
Das heißt nicht, dass die gegenwärtigen Entwicklungen unumkehrbar sind und sich die Opposition erschöpft ins Private zurückzieht. Es wächst gerade eine Generation progressiver Aktivisten heran, die diese Entsolidarisierung erkennt und sich ihr entgegen stellt. Doch wie klein wirkt der mühsam aufgebaute Fortschritt, wenn die große Abrissbirne auf ihn niederfährt. Die Politik des “Schritt für Schritt” der Demokraten – zum Beispiel eine Gesundheitsreform unter großer Rücksichtnahme auf die Versicherungsbranche statt eines gesetzlichen Systems – ist gescheitert. Sie beruhte auf der Fehlannahme, dass es einen “natürlichen Fortschritt” gibt. Doch demokratische Gesellschaften werden auch im 21. Jahrhundert nicht zwangsläufig immer demokratischer, wie wir inzwischen alle wissen. Mehr noch: Jede Errungenschaft kann verschwinden, und das innerhalb kurzer Zeit.
Das ist die Botschaft, die wir Deutsche aus den USA 2017 vernehmen sollten. Entsolidarisierung und Entmenschlichung sind auch bei uns ein Thema. Darüber hinaus gibt es derzeit nichts, was wir von hier drüben auf der anderen Seite des Atlantiks lernen können. Das Amerika, das wir kennen und dessen demokratische Tradition viele von uns schätzen, verschwindet gerade und wird zu etwas anderem.