Das Prekariat ist die Sphäre der entwerteten Arbeit und der entrechteten Menschen. Es ist eine Klasse, die keine Partei und keine Organisation, kein Projekt und kein Bewusstsein hat. Es ist die Klasse der nachhaltig Vereinzelten. Es gibt das akademisch-kulturelle Prekariat, es gibt das Dienstleistungsprekariat, es gibt das digital-„kreative“ Prekariat, das „Kognitariat“, es gibt das industrielle und postindustrielle Prekariat, und nicht zuletzt gibt es ein landwirtschaftliches Prekariat (…) Wir sind alle unterbezahlt, unsicher beschäftigt, vom Überlebenskampf ermattet und zugleich (…) in solch unterschiedlichen kulturellen, körperlichen und ästhetischen Umständen, dass uns der Gedanke von Solidarität und Gemeinschaft gar nicht kommt.
Debatte Gespaltenes Prekariat: Traumschiff und Nagelstudio
Die Leerstelle, die Georg Seeßlen hier umreißt, heißt Solidarität. Die Menschen blicken nach oben statt zur Seite. Aus eigener Erfahrung: Obwohl der Beruf des Journalismus in den kommenden 15 Jahren dem des freischaffenden Künstlers noch ähnlicher wird (und für viele Freie bereits ist), würde ich viele Berufsgenossen als bürgerlich orientiert beschreiben.
Die Perspektive ist zwar nicht mehr die der Prä-Ruheständler in den Redaktionen, denen die Errungenschaft jahrzehntelanger Tarifverträge und relativer wirtschaftlicher Stabilität die Möglichkeit zu Wohlstandsinvestitionen gegeben hat (nicht selten in urbane Immobilien). Aber die eigenen Probleme mit denen eines Musikers oder Schauspielers (Arbeitskraft-Angebot > Nachfrage, unendlicher Content bei abnehmenden Monetarisierungs-Möglichkeiten, etc.) zu vergleichen oder gar mit ebenfalls in Zeitverträgen, Leiharbeit und finanziellen Sorgen steckenden Arbeitskräften in Dienstleistung oder Industrie – das ist selten.
Würden wir nicht in unseren Berufssilos feststecken, der Glaube an eine existierende Meritokratie würde wahrscheinlich viel schneller der Frage nach dem Klassenbewusstsein weichen.