Die FAZ stellt einige Blogs ein, darunter auch Hans Ulrich Gumbrechts Digital/Pausen. Sehr schade, habe ich Gumbrechts Denken doch erst in seinen Einträgen dort richtig kennengelernt. Natürlich publiziert er auch in diversen anderen Medien (zuletzt in der Zeit über das System Fußball), aber Digital/Pausen mochte ich gerade deshalb so gern, weil er dort semi-private Erlebnisse als Ausgangspunkt für eine Suchbewegung verwendet hat, die stets menschliche Konstanten in Gegenwartsphänomenen finden wollte. Dabei hat er auch Ratlosigkeit eingestanden und seine Interpretation stets unter Vorbehalt gestellt – Denken ist nie zu Ende, weshalb Blogs eine feine Form dafür sind, da hatte Schirrmacher mit Gumbrecht schon eine gute Nase.
[Kurz zu Rainer Meyer a.k.a. Don Alphonso, über den offensichtlich mehr diskutiert wird: War immer schon da. Wirklich guter Schreiber, wenn auch immer ein bissken viel Tegernsee-Manierismus (Spoiler: Tegernsee-Menschen landen häufiger beim argumentativen Äquivalent von “Aber die Berge…”). Wie mancher deutsche Blogger der ersten Generation das brutale Charakterurteil zum perfekten Werkzeug gemacht, dabei skrupelloser als andere. Habe seine Sachen dennoch häufiger interessiert gelesen. Rund um die Flüchtlingskrise 2015 fand ich ihn hilfreich, wegen seiner kritischen Perspektive und der sich abzeichnenden Stimmungen, die ich dadurch später hier drüben besser verstanden habe. Danach fast ausschließlich Beiträge wie von einem AI-Textautomaten, der aus Berg- und Barockfotos und dem Trigger-Thema du jour Texte für das “Eyyyyyyy!1!!Linksversiffer-Staatsfunk-Merkeltante-alle-unterdrücken-mich”-Publikum produzierte, dessen Twittertroll-Block kluge konservative Gedanken nicht mal erkennen würde, wenn der Geist von Joachim Fest sie in 280 Zeichen übersetzen und gaaaanz langsam vorlesen würde. Dadurch für mich uninteressant, aber das spielt keine Rolle. Wird wieder etwas relativ Prominentes finden, die publizistische Aufmerksamkeitsökonomie belohnt es gerade, Menschen genau das nochmal zu erklären, was sie eh schon glauben (nicht nur, aber gerade im reaktionäreren Spektrum). Gumbrecht genießt wahrscheinlich seinen akademischen Ruhestand und wird ebenfalls weiter publizieren, aber bei ihm werde ich es vermissen, ihm beim Denken zugucken zu können.]
Über Meyer muss man nichts mehr sagen, aber den Gumbrecht-Kult habe ich nicht verstanden. M.E typischer Medien-Professor: Hält einmal die Woche in Stanford Hof für Bewunderer und Maximilianeums-Clique und jettet ansonsten für Vorträge um die Welt, in denen er seine alten Sachen aus den 80ern recyclet. Entsprechend wirkten seine FAZ-Texte: Eine Mischung aus Altem, Oberflächlichem und Undurchdachtem von jemand, dem schon lange niemand mehr gesagt hat: Das bitte überarbeiten.
@Paul Ich fand gerade das Unfertige gut und viele Beobachtungen über die amerikanische Gesellschaft treffend (bei Deutschland merkte man, dass er es nur noch von Reisen kennt). Halte es für legitim, das Politische durch Perspektivwechsel und Hinweise auf historische Kontinuitäten etwas zu entschärfen, auch wenn das dadurch „Speaker beim Telekom-Event“-kompatibel wird. Fand schon, dass da mehr als Recycling-Versuche dabei waren.
Scheint mir auch eine Frage des Vergleichsmaßstabs: In den USA ist er einer unter vielen universitären Intellektuellen und nicht bei den Großen,in Deutschland bringt der Uni-Betrieb diesen Typus kaum hervor (freue mich aber über Geheimtipps).
Ich würde da noch am ehesten an Frankfurter denken, Axel Honneth oder Rainer Forst z.B. Geheimtips sind die natürlich nicht, aber um Längen begriffsschärfer als Gumbrecht mit seinen Heidegger-Remixen.
Inhaltlich ist das alles natürlich schwer mit Gumbrecht zu vergleichen, nicht nur weil der als Literaturwissenschaftler lehrt, sondern auch weil man bei der enormen Vagheit, die seine ins Politische gewendeten Epochen- und Präsenzkonzepte inzwischen angenommen haben, fast gar nichts Vernünftiges mehr über sie sagen kann.
Danke, die hatte ich bislang nur oberflächlich auf dem Radar!