Ich glaube, wir können die Geschehnisse in der Wirtschaft nicht mehr seriös erkennen, wenn wir weiterhin auf die ganze Management- und Merger-Narrative starren, während wir die Eigentumsstrukturen vernachlässigen.
Beispiel 1: Einzelhandel und das Amazon-Narrativ
Vor einigen Wochen machte der amerikanische Spielzeugkonzern Toys”R”Us pleite. Warum? Oft genannt und offensichtlich: Amazon (oder auch, seltener genannt, die Allesverkauf-Ketten Walmart/Target). Dass die Firma seit Jahren mehrere Hundert Millionen Dollar jährlich abstottern musste, um die Übernahme durch Finanzinvestoren (u.a. KKR und Bain) zu refinanzieren? Wurde berichtet, aber das Amazon-Narrativ bleibt im Gedächtnis, weil es zum Zeitgeist passt.
Beispiel 2: Indexfonds
Fast niemand weiß, was Indexfonds sind. Was zur Folge hat, dass wir glauben, das Aktien-Eigentum an Unternehmen ist irgendwo überall in der Welt verteilt. Stimmt nicht: einem Studie aus dem vergangenen Jahr zufolge haben die drei Fonds von State Street, Vanguard und Black Rock inzwischen die nominelle Aktienmehrheit bei 40 Prozent aller börsendotierten US-Firmen. Es gibt Diskussionen darüber, was das im Fall eines Crashs für die Stabilität der Aktienmärkte bedeutet, auch über Fragen nach den Folgen für Wettbewerb zwischen Firmen im gleichen Sektor wird diskutiert. Irgendetwas verändert diese Konzentration der Eigentümerstruktur, aber die meisten Menschen wissen nicht einmal, dass sie existiert.
Beispiel 3: Staatsfonds und Konglomerate
Immerhin: Dass arabische Staatsfonds wie PIF und QIA, die norwegischen oder chinesischen Staatsfonds sehr aktiv sind, ist halbwegs bekannt (unter anderem wegen des China-Aufstiegs-Narrativs, des norwegischen Reichtums und der “Öffnung” Saudi Arabiens). Aber wo genau sie aktiv sind (unter anderem: Endphasen-Funding in Tech), wie sie zusammenhängen und verschachtelt sind? Ich habe nicht das Gefühl, das jemand Buch führt und versucht, den Überblick zu behalten. Dabei wird hier gerade ein großer Teil des Machtspiels festgelegt, das parallel politisch ausgetragen wird (vgl.: Saudi Arabien und die Trump-Regierung oder dass Blackrock und der Saudi-Fonds PIF 40 Milliarden Infrastruktur-Investment in den USA finanzieren könnten).
Oder, Beispiel Konglomerate: Dass SoftBank gerade im Ridesharing-Markt ein globales Oligopol schafft, bei dem sie an allen relevanten Firmen Anteile haben? Geht unter, weil das Narrativ “Uber steigt aus dem Markt XY aus” besser zur Geschichte über das rücksichtslose Mega-Startup passt, das sich übernommen hat.
Jetzt kann ich natürlich meine Warnung genauso gut aus dem Fenster rufen (was ich auch erfolglos getan habe): Mit etwas Suchgeschick und Aufmerksamkeit lässt sich zu alldem etwas finden, und die Mehrheit der Menschen hat sich mit solchen Details nie beschäftigt. Aber wir hängen trotz Piketty immer noch im 20. Jahrhundert fest, vor allem auf Marktstrukturen und Machtverteilung innerhalb von Sektoren zu blicken, nicht auf die Eigentumsstrukturen und Kapital-Querverbindungen jenseits der offensichtlichsten Ebene. Und damit erkennen wir systemisch den Wald vor lauter Bäumen nicht – mit welchen Folgen auch immer.
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