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Freihandel

Der Deal im Freihandel lautet: Günstigere Waren und größere Auswahl gegen den Verlust von Arbeitsplätzen in einigen Branchen, in der Regel im produzierenden Gewerbe. In Schwellenländern bedeuten Freihandel und Globalisierung die Möglichkeit, in die Mittelschicht aufzusteigen. Oft geschieht das erst in der nächsten Generation, wohlgemerkt: Wer heute in den Technologie- und Textilfabriken Asiens arbeitet, verdient zwar überdurchschnittlich Geld, sein Leben gleicht aber eher dem eines europäischen Fabrikarbeiters im Jahre 1850 als dem von 2018. Dennoch ist der gestiegene Lebensstandard, den viele Regionen in den vergangenen Jahrzehnten verbuchen konnten, ohne die globale Arbeitsteilung nicht zu denken.

Zum Begriff: Was einst als “Abwesenheit von Handelszöllen auf Produkte” bedeutete, wurde schon vor längerem auf die Harmonisierung von Regulierung und Deregulierung, auf das Urheber- und Patentrecht sowie das Finanzwesen ausgedehnt. Klauseln zu Arbeits- und Umweltstandards sind in den meisten Freihandelsabkommen dagegen in der Regel standardisiert unbestimmt formuliert und nicht einklagbar.

Zudem bedeutet Freihandel nicht zwingend ein Verbot von Subventionen, die Industrienationen in Regel weiter für den Agrarsektor sowie im Aufbau befindliche Industrien aufbringen. So brach in Mexiko nach der Einführung nordamerikanischen Freihandelsabkommen in den 1990ern die Mais-Wirtschaft ein, das Land wurde zum Importeur: der Mais vom großen Nachbarn, den die Bauern in den US-Bundesstaaten des mittleren Westens anbauen, war durch die Subventionen aus Washington günstiger. In der Folge kam es in einigen Regionen Mexikos zu einem regelrechten Exodus arbeitslos gewordener Bauern, die sich auf den Weg nach Norden machten, um in den USA illegal als Tagelöhner Geld zu verdienen.

Ein ähnliches Muster zeigt sich an den Verhandlungen der Europäische Union mit den afrikanischen Staaten über das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA). Auch wegen der Androhung von Strafzöllen in die EU haben bereits zahlreiche Länder unterschrieben. Das WPA sieht vor, dass afrikanische Länder die Zölle auf Grundnahrungsmittel wie Getreide (außer Reis) und Milchpulver innerhalb von fünf Jahren abschaffen sowie keine neuen Schutzzölle verabschieden. Zugleich subventioniert die EU weiterhin Milchpulver oder Getreide, kann solche Agrarprodukte also günstiger anbieten. Dies dürfte Konsequenzen haben: 60 Prozent der Erwerbstätigen im Subsahara-Nationen Afrikas arbeiten in der Landwirtschaft, die Zollausfälle der Staaten Westafrikas summieren sich Schätzungen zufolge bis zum Jahr 2035 auf mehr als 32 Milliarden Euro.

Die Beispiele sind bereits vereinfacht dargestellt. Sie zeigen aber, dass Freihandel auch Nebenwirkungen hat (no shit, Sherlock) und es auf systemischer Ebene Grundsatzfragen gibt  – zum Beispiel, welche Rolle Sozialstandards spielen oder ob Abkommen zwischen Regionen mit unterschiedlicher wirtschaftlicher Stärke Sinn ergeben. Und dabei ist noch nicht einmal vom chinesischen Modell des Schutzes heimischer Firmen durch Auflagen und Eigentums-Regelungen die Rede. Oder von globalen Firmenstrukturen und Steuervermeidung. Oder vom ökologischen Fußabdruck und Fragen des Postwachstums. Oder von Deutschland, das nicht nur durch Luxus-Produkte oder (noch) der Produktion von Maschinen und Anlagen in alle Welt ein Mega-Exporteur ist, sondern eben auch vom günstigen Euro-Wechselkurs profitiert, den das Land mit der DM nicht halten könnte.

Aber natürlich wird das alles im angebrochenen Handelskonflikt keine Rolle spielen, er wirft den Erkenntnisprozess sogar zurück: Ganz nach der Philosophie des US-Präsidenten geht es um das Recht des Stärkeren. Das Narrativ wird entlang der bekannten Orthodoxie verlaufen, die ja unter dem Stichwort „Friede durch Vernetzung“ zumindest innerhalb des Westens auch eine historisch-politische Komponente hat (allerdings nicht so sehr im Kolonial-Kontext).

Spätestens bei Autozöllen werden wir dann eine Patriotismus-Welle erleben und vielleicht für ein paar Monate sogar eine neue Legitimationserzählung für das vereinte Europa. Hyper-Aktivität rund um Symptome bei gleichzeitiger Stagnation in systemischen Fragen charakterisiert wohl auf absehbare Zeit unsere Gegenwart.

Siehe auch:
Ehrlichkeit und Freihandel
Freihandel II
Cocktails und Chauvinismus

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