„Michel Platini, der damalige Vizechef der Fifa, kam vor der Abstimmung 2010 zu einem Mittagessen im Élysée-Palast mit Präsident Sarkozy und Vertretern der Königsfamilie von Katar zusammen. Sarkozy ließ die Kataris wissen, dass der Preis von Platinis Stimme auch eine Unterstützung für seinen lokalen Verein Paris Saint-Germain beinhalten würde, der damals in finanziellen Schwierigkeiten steckte. Zur gegebenen Zeit kaufen die Kataris den Verein und investierten Hunderte Millionen in ihn (inklusive der 222 Millionen Euro, um Neymar zu kaufen, den teuersten Spieler der Welt). Katar kaufte zudem die Fernsehrechte für die Spiele aus Frankreichs erster Liga für mehr als 360 Millionen Euro1 und Qatar Airways bestellte 50 A320-Flugzeuge, die von Airbus in Toulouse gefertigt werden. Der Wert dieses Deals allein wurde für die französische Wirtschaft mit ungefähr 17 Milliarden Euro beziffert.
(…) Platini hat immer betont, dass er nicht für Katar stimmte, weil Sarkozy es ihm sagte. Allerdings passierte offenbar etwas, das ihn dazu brachte, seine Unterstützung für die USA als WM-Gastgeber 2022 aufzugeben und sich stattdessen für ein Land einzusetzen, das keine Fußball-Infrastruktur, kein nennenswertes internationales Profil in diesem Sport und ein Klima hat, das bei einem Sommerturnier Spiele in Temperaturen von bis zu 50 Grad bedeutete.“
Dass wir trotzdem die Fifa-WM verfolgen, auch die in Russland, entspricht unserem Verhalten in fast allen anderen unbequemen Fragen unserer Zeit: Ein Wissen über die moralische Problematik bei gleichzeitiger Bequemlichkeit und dem Bewusstsein, für diese Bequemlichkeit von niemandem zur Rede gestellt zu werden und so den moralischen Aspekt einfach nur verdrängen zu müssen. Das Collective Action Problem existiert also sogar im Fifaturnier-Konsum, natürlich auch deshalb, weil Fußball nicht nur ein schöner Sport ist, sondern auch das letzte große Lagerfeuer (und sonst läuft eh nix im Sommerfernsehen).
David Runciman prognostiziert realistischerweise, dass der Videobeweis ein Aufreger wird, nicht die Menschenrechte. Er beendet seinen Artikel mit den Worten:
„Vielleicht wird die Weltmeisterschaft diesen Sommer nicht das letzte Turnier, in dem wir noch den Unterschied zwischen einem internationalen Fußballspiel und einem Videospiel erkennen können. Aber es könnte die letzte WM sein, bei der uns das überhaupt noch interessiert.“
1 Die Zahl im Artikel ist zu hoch, selbst korrigiert.