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Lob der Utopie

 Die Welt ist zum Verändern da!

Harald Welzer:

„Ist es nicht seltsam, dass man in einer der reichsten Gesellschaften der Erde aufwachsen und trotzdem keinerlei Zukunftsvision haben kann? Nein, ist es nicht. Denn die gesamte Gesellschaft hat ja kein Zukunftsbild von sich, das dem 21. Jahrhundert entstammen würde. Nehmen wir als Beispiel nur den Wiederaufbau von Schlössern überall: in Hannover, in Potsdam, in Berlin. Oder gleich die Erfindung einer künstlichen Altstadt, wie in Frankfurt, dem Zentralort der Finanzindustrie. Ist das die Zukunft, die man jungen Menschen anbieten möchte: Heimatkitsch und Knete?

Dieses Zurückgewandte, Gestrige korrespondiert auf fatale Weise mit der Apokalypse-Rhetorik: Oder wo unter den Ökos findet sich ein attraktiver, gar ein mitreißender Zukunftsentwurf einer lebenswürdigen und liebenswürdigen Gesellschaft, die sozial gerecht, nachhaltig und lebensbejahend wäre? Stattdessen nervt die Szene mit allgegenwärtigen Begriffen wie Effizienz, Resilienz und Suffizienz, propagiert einen „Lebensstil des Genügens“, als wäre ein runtergedimmtes Vernunftrentnerdasein ein attraktiver Lebensentwurf für 20-Jährige.

Was schmerzlich fehlt, sind Visionen, konkrete Utopien, Aussichten wie man die Welt, die eigene Gesellschaft, das individuelle Leben so verändern kann, dass es zugleich lustvoller und weniger zerstörerisch gelebt werden kann, als es in der Gegenwart der Fall ist. Statt Apokalypse: Zukünftigkeit. Statt ohnmächtig machendem Lamento: Selbstermächtigung. Die Welt ist zum Verändern da, nicht zum Ertragen. Wenn sich das herumspricht, kommen auch wieder Zukunftsbilder in unsere Welt.“

Ich übe mich hier auch häufiger im Lamento, aber natürlich lässt sich nicht ignorieren, dass wir gerade verschiedene, sich überschneidende globale Krisen erleben. Woran ich aber definitiv festhalte: ein Freiheitsbegriff, der auf der Überzeugung fußt, dass wir konkrete Möglichkeiten zur Veränderung haben.

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