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Sommer-Leseliste (und das Scheitern)

Sommer-Leselisten sind in der Regel ein Schwindel. Eine kleine als Kultursignal getarnte Angeberei. Oder ein guter Vorsatz, dem alles mögliche dazwischen kommt. Die Sonne, das Schwimmbad, die Familie, das Smartphone oder der kürzere aktuelle Text, der weniger Eindenken benötigt.

Das ist natürlich auch bei mir so, die Bücher da oben sind sozusagen meine guten Vorsätze gewesen. Edmund Wilsons „To The Finland Station“ zum Beispiel werde ich nie zu Ende lesen, da bin ich mir ziemlich sicher. Nicht, weil es ein schlechtes Buch wäre, sondern weil die Kulturgeschichte des Kommunismus bis zu Lenins Ankunft in St. Petersburg ziemlich viele Umwege nimmt. Dabei hatten sowohl Bill Clinton (als prägendstes Buch seiner jungen Jahre) als auch Mario Vargas Llosa (der dieses Jahr quasi eine Liberalismus-Version vorgelegt hat) heiß davon geschwärmt.

Oder Martin Amis, den ich schon wieder in die Hände der Bücherei gegeben habe. Vielleicht, weil er ein Snob ist und das gerne durchscheinen lässt. Oder, weil ich heulend niedersinke, weil seine stilistische Gewandtheit jeden meiner Sätze wie einen unfreiwilligen Gewaltakt aussehen lässt. Dann ist da Tommy Oranges vielgelobter Roman „There There“, der die Gegenwartskultur der Native Americans wieder sichtbar macht. Den habe ich gelesen, und das durchaus mit Vergnügen – aber mit einer echten Furcht vor einem sich andeutenden Unglück im Plot. Denn schlimme Sachen passieren inzwischen auch so genug. Eigentlich sollte ich nur noch Stifter lesen, wo die Menschen in die Berge gucken und gut ist es.

Armina Cains „Creature“ wiederum schlage ich so selten auf, weil jede der kleinen Geschichten sich nach der ersten Lektüre in Luft aufzulösen scheint, und mit ihr dieses ungewöhnliche und reizvolle Gefühl, das ich beim Lesen empfinde. Also nasche ich nur davon. Fernando Pessoas Opus „The Book of Disquiet“ dagegen öffne ich immer wieder, obwohl ich seine Ehrlichkeit über die Welt und das Menschliche fürchte. Aber ich lese es nicht von vorne nach hinten, sondern zufällig und nur für wenige Minuten. Ron Butlins „The Sound of My Voice“ habe ich bestellt, weil ich eine Werbung für die Neuauflage in einer britischen Zeitschrift sah. Es ist schön dünn und kam passenderweise aus einem schottischen Antiquariat, denn Butlin ist Schotte und die Hauptfigur ein Alkoholiker, der seinen Alltag mit beinahe kafka’schen Augen betrachtet.

Und James Hawes‘ „Die kürzeste deutsche Geschichte“ ist ein Mitbringsel aus dem deutschen Frühsommer, kurz genug, um es bei zwei Gläsern Wein an einem einzigen Nachmittag zu lesen (und durch die offenbar auch von Churchill vertretene These, dass das ehemalige Preußen und sein Junkertum nie zum gewachsenen Deutschland gepasst hat und für alle geschichtlichen Verwerfungen verantwortlich ist, recht aktuell erscheint. Holzschnitt-Geschichtsschreibung, aber unterhaltsam).

Daneben gäbe es noch einige abgebrochene Anfänge (Ted Chiangs Science Fiction) und angefangene Hörbücher (Tony Judts Europa-Geschichte, !50 Stunden!) zu erwähnen oder die Vorfreude auf die Bücher, die im Herbst auf mich warten (Michael Pollans Geschichte psychedelischer Drogen und David Auerbachs Autobiografie). Oder im Regal stehen, ungelesen bis angelesen, bereit für ihren zweiten Akt. Ich habe mir ja angewöhnt, nicht zu Ende gelesene Bücher als gute Freunde zu betrachten: auch ohne näheren Kontakt ist es gut zu wissen, dass sie da sind.

Info: Das Blog macht Spätsommerpause. Bis bald!

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