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Journalismus, Abomodelle und die Entbündelung

Subscription Fatigue? ($)

Ben Thompson mit seiner Perspektive auf eine Nieman-Lab-Geschichte zur Frage, wer sich wirklich digitale Zweit- und Drittabos leisten wird.

„Lokalzeitungen entstanden in einer Zeit, als das Geschäftsmodell für Journalismus darauf aufbaute, die Verteilung physischer Zeitungen zu kontrollieren. (…) Im Internet ist die Distribution allerdings kostenlos, jede Publikation konkurriert mit jeder anderen Publikation. Das ist ein Problem, wenn ein großer Teil deines Contents Nachrichtenagentur-Stücke über nationale und weltweite Nachrichten sind, so wie das bei Lokalzeitungen der Fall ist. (…) Es gibt einfach zu viele andere, bessere Optionen, selbst wenn du zu zahlen bereit bist.

So weit, so bekannt. Aber wie Geld verdienen? BT weiter:

Die Antwort also lautet: größere Spezialisierung. Eine Publikation, die sich auf Lokalnachrichten konzentriert, sollte zum Beispiel über nichts anderes als Lokalnachrichten berichten. (…) Unter dem Strich verkauft eine Lokalzeitung keine Wörter, sondern ein Gefühl, informiert und ein guter Bürger zu sein. In diesem Zusammenhang kann es sogar ein Service sein, mir zu erzählen, das nichts passiert ist und ich meine Zeit besser damit verbringe, etwas anderes zu lesen.“

Wer Ben Thompson liest (und das sollte jeder, der sich mit den geschäftlichen Komponenten der Digitalisierung beschäftigt), weiß natürlich, dass er selbst ein Beispiel für diese Spezialisierung ist: Seine Seite Stratechery kostet 10 Dollar pro Monat und liefert vier Mal die Woche per E-Mail detaillierte Tech-Analysen, sonst nichts.

„Wenn Menschen gefragt werden, ob sie für Nachrichten zahlen, ist die natürliche Reaktion, sich unter Nachrichten das vorzustellen, was gerade unter dem Konzept verstanden wird. Um ein einschlägiges Beispiel zu nehmen: Stell Dir vor es ist 2013 und jemand fragt dich, ob du eine Tech-Publikation abonnieren würdest. Die meisten hier hätten wahrscheinlich ’nein‘ gesagt, weil der Referenzrahmen aus jenen Tech-Publikationen bestanden hätte, die 2013 populär waren. Diese Publikationen aber wurden alle von Werbung angetrieben, was zu entsprechenden redaktionellen Kompromissen führte.“

Damit meint BT nicht Schleichwerbung oder Ähnliches, sondern den Fokus auf „General Interest Tech“. Also alles, von Branchen-Berichten über Produkttests und Lifestyle-Aspekten bis zu wissenschaftlichen Entwicklungen von Technologien (vgl. Wired). Bei Tech ist sogar schon eine Spezialisierung dabei, was sich bereits 2013 dort nicht fand, sind die klassischen Vermarktungsressorts wie Reise oder Automobil. Aber weiter mit Ben Thompson:

„Spulen wir ins Jahr 2018 vor und siehe da: Du zahlst 10 Dollar pro Monat für eine Tech-Publikation, aber eine, die auf ein Abomodell aufbaut. Mein Ziel besteht nicht aus Seitenaufrufen oder soziale, Sharing, sondern dass du jeden Morgen das Gefühl hast, etwas Einzigartiges zu lesen, dass dich über eine Branche nachdenken lässt, für die du dich interessierst.

Jetzt nehme dieses Gefühl und wende es auf den ganzen Regenbogen menschlicher Interessen an. Jeder Mensch hat etwas, für das er sich interessiert und das von General-Interest-Publikationen schmerzhaft unterbelichtet und missverstanden wird. Wie viel wäre die Person bereit, jemandem zu bezahlen der dieses Thema versteht und sie zum Nachdenken bringt, sei es ihre Stadt, Hobby oder Karriere?“

Nun speist sich dieser Optimismus ein bisschen aus eigener Erfahrung und der fehlenden Sprachbarriere: Ben Thompson ist Amerikaner und schreibt auf Englisch, der mögliche Markt ist also quasi die ganze Welt. Wer alleine journalistisch publiziert, hat in anderen Sprachen derzeit geringe Chancen auf langfristige Refinanzierung, weil die Nische eben nur unter bestimmten Bedingungen skaliert. Chinesisch wäre natürlich auch zu nennen, aber da findet journalistisches Publizieren nur unter den Bedingungen der Partei statt.

Doch zurück zu seiner Idee einer Entbündelung: Entbündelung bedeutet, anders als ich das einmal erwartet hatte, nicht unbedingt Dezentralität. Siehe Crowdfunding-Plattformen wie Kickstarter oder Startnext, Abo-Infrastrukturen wie Patreon, Steady* oder Substack und (Einstiegspunkt-)Plattformen wie Medium. Es wird also ent-bündelt und gleichzeitig ge-bündelt, wenn auch im Moment eher funktional als inhaltlich – Patreon ist erst einmal ein One-Stop-Shop zur Unterstützung von Kreativarbeitern, die Funktion der Aufmerksamkeitslenkung ist fast nicht vorhanden.

Angesichts solcher Schwächen geistert im Hintergrund immer die Idee herum, dass Amazon oder Apple das „Spotify für Journalismus“ bauen könnten. Dann wäre auch die Frage „wie viele Menschen brauchen ein Zweitabo?“ beantwortet – niemand, denn alles wäre im jeweiligen (wahrscheinlich gestaffelten) Preis enthalten.

Ob darin dann aber Einzel-Publisher wie ein „Ben Thompson, der über Skateboarden schreibt“ überhaupt vorkommen würden, ist überhaupt noch nicht gesagt. Und für die Nischen würde sich die Refinanzierung kaum verändern (die Gleichung würde wohl lauten: „mehr Aufmerksamkeit, aber keine Einnahmen-Steigerung verglichen mit Patreon“ – und wir wissen alle, wie endlos der Long Tail auf Patreon ist). Redaktionen wiederum würden sich zumindest Gedanken über Exklusiv-Vertikalen auf den Plattformen machen müssen, während es sich für einzelne Publizistik-Stars wegen der Einstiegsboni lohnen könnte, zu plattformexklusiven Autoren zu werden. Aber das ist eine sehr am amerikanischen Marktverständnis orientierte Prognose, gebe ich zu.

Noch und zumindest mittelfristig erst einmal weiterhin sind die Machtverhältnisse zwischen Apple/Amazon und den größeren Publishern nicht so weit, schon gar nicht in Deutschland. Aber wahrscheinlich würde spätestens die Perspektive eines solchen „Neu-Bündels“ auf der Plattform auch in D-A-CH die jeweiligen Medienhäuser und Verlage dazu bringen, ein eigenes markenübergreifendes Angebot dieser Art zu schaffen. Spätestens damit wäre das bisherige Bundle radikal hinfällig. Allerdings entspricht das Bundle angesichts der sich abzeichnenden oligopolartige Bespielung von Titeln aus einer Handvoll Zentralredaktionen ohnehin nicht mehr der Formel „Eine Redaktion, ein Produkt“.

Diese Backend-Zentralisierung ist eigentlich das genaue Gegenteil einer Entbündelung des Produkts. Die Idee des „Unbundling“ genießt in den meisten Medienhäusern einen ähnlichen Ruf wie Reisegutscheine für die Titanic. Aber die Entbündelung ist nur schwer aufzuhalten und auch logisch, weil sie viele Formen annehmen kann – unter anderem die Gestalt von Vertikalen.

Das New York Magazine, um dessen neue Paywall es im Nieman-Lab-Artikel unter anderem geht, hat es vorgemacht: Es gibt NYMag.com als Content-Hub, dazu die Schwerpunkt-Eigenmarken The Cut (Mode), Intelligencer (Politik/Meinung), Grub Street (Essen), The Strategist (Shopping-Ratgeber) und Vulture (Popkultur). Alle diese Vertikalen haben ein eigenes Layout, Schwerpunkte, unverwechselbare Haltung und einen bestimmten Sound. Teilweise sind sie von Ressorts im Magazin abgeleitet, aber ich wusste zum Beispiel lange nicht, dass Vulture mit dem NYMag zu tun hat, obwohl ich das Heft abonniert habe. Entbündelung kann also dabei helfen, seine Expertise klarer zu identifizieren und auszubauen. Und an Letzterem führt mittelfristig kein Weg vorbei, Nachrichtenübermittlung und -analyse alleine ist kein Alleinstellungsmerkmal. Und wofür würde ich Geld bezahlen: Für ein Digitalabo von NYMag.com oder für ein Digitalabo mit fünf spezialisierten Marken, für deren Inhalt das NYMag bürgt?

Die Antwort darauf, ob wir in den kommenden zehn Jahren Bündelung oder Entbündelung erleben, lautet also womöglich: Es wird ein und dieselbe Bewegung sein, aus der Vogelperspektive kaum unterscheidbar. Kleinere Teile werden vom großen Ganzen abgespalten und dann in das passende Mosaik eingesetzt.

*23.11. Steady nach Hinweis ergänzt (habe die deutschen Sachen nur so im Augenwinkel-Blick)

 

 

 

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