Jonathan Franzen Is Fine With All Of It
Jonathan Franzen in diesem feinen Porträt aus dem Sommer:
„‚Ich war nie ein großer Anhänger einer Gesellschaft, die sich vorwiegend nach dem Konsumverhalten strukturiert, aber ich hatte meinen Frieden damit geschlossen‘, so Franzen. ‚Aber als es damit anfing, dass jede individuelle Person auch ein Produkt sein musste, das die Person selbst verkauft, und als Likes von überragender Wichtigkeit wurden – das war für mich sehr besorgniserregend auf einer persönlichen Ebene, als Mensch. Wenn du dich in einem Zustand ständiger Angst befindest, deine Marktanteile als Person zu verlieren, ist das für mich die falsche Haltung, um sich in der Welt zu bewegen.‘ Heißt: Wenn dein Ziel ist, Likes und Retweets zu bekommen, dann modellierst du dich vielleicht zu dieser Person, von der du glaubst, dass sie diese Dinge bekommen wird, egal ob diese Person deinem wirklichen Ich entspricht. Die Aufgabe eines Schriftstellers ist es, Dinge zu sagen, die unbequem und schwierig zu vereinfachen sind. Warum würde ein Schriftsteller sich selbst als Produkt formen?“
Wenn es schon soweit ist, dass ich Jonathan Franzen zitiere… aber Spaß beiseite: Natürlich hat er recht, aber die Vergangenheit ist etwas komplexer. Auch vor dem Netzwerk-Zeitalter ging es um Selbstinszenierung und Marktwert, nur eben nicht ständig, in der Regel nicht quantifizierbar und für die meisten Menschen nicht öffentlich und jeweils nach sozialen Anlässen & Kreisen getrennt. Auch für Autoren. Das alles ist jetzt flach, pausenlos und zahlenlastig geworden, sofern man es mitmachen möchte und ernst nimmt.
Was mir bei Social Media in diesem Modus verloren gegangen ist, ist das Persönliche. Es gibt eine Verbindung, aber sie ist eher wie auf einer dieser Medienszene-Partys bei irgendjemandem im Prenzlauer Berg. Oder wie die Abendessen, auf denen Larry David bei Curb Your Enthusiasm immer in die Fettnäpfchen tritt. Vieles ist performativ, gerne wichtigtuerisch und auf das Senden von Signalen ausgelegt. Also eigentlich im Kern ziemlich normiert, weshalb die Aufreger so leicht zu triggern und abzusehen sind, weshalb die ironischen Pointen so routiniert sitzen. Für mich wäre der sinnvollste Schritt, Follower- und Like-/Reaktionszahlen einfach nicht mehr einzublenden, so wie das Are.na zum Beispiel macht. Aber dann wären Reputation, emotionale Teilnahme und Witzigkeit nicht mehr quantifizierbar, der virale Effekt unsichtbar und das Spiel unterm Strich vorbei.
Siehe auch:
Was Reputation zählt