First reflections on the French ““événements de décembre”
Branko Milanovic vor einigen Tagen mit seiner Perspektive auf die Proteste und Ausschreitungen in Paris:
„Es ist in der Tat kein Zufall, dass eine Steuer auf Benzin das Fass zum Überlaufen brachte, die ländliche und stadtnahe ländliche Gebiete am stärksten betrafen, genau wie Menschen mit recht bescheidenen Einkommen. Meinem Verständnis nach war dabei nicht das Maß der Erhöhung entscheidend, sondern die Verstärkung des Gefühls unter vielen Franzosen, dass sie ohnehin schon die Kosten von Globalisierung, neoliberaler Politik und Offshoring, dem Wettbewerb mit billigerer ausländischer Arbeitkraft und dem Niedergang sozialer Dienste tragen. Und nun sollen sie auch noch das bezahlen, was in ihren Augen (und nicht ganz falsch) eine elitäre Steuer auf den Klimawandel ist.
Das bringt ein grundsätzlicheres Thema auf (…): Befürworter einer Wachstumsrücknahme (Degrowth) und diejenigen, die dramatische Maßnahmen gegen den Klimawandel fordern, sind seltsam zurückhaltend und schüchtern, wenn sie benennen müssen, wer die Kosten dieser Veränderungen tragen wird. (…) Wenn sie es ernst meinen würden, sollten sie den Bürgern der westlichen Weltordnung sagen, dass ihre Realeinkommen halbiert werden sollen und ihnen erklären, wie das vonstatten gehen soll. Anhänger der Wachstumsrücknahme wissen natürlich, dass ein solcher Plan politischer Selbstmord wäre und deshalb bevorzugen sie es, die Dinge vage zu halten und diese Fragen hinter einem ‚falschen Kommunitarismus‘ zu verstecken, wonach wir alle betroffen sind und irgendwie die Wirtschaft blühen wird, wenn wir uns nur alle das Problem bewusst machen und angehen würden – ohne dass sie uns aber jemals verraten, welche spezifischen Steuern sie erhöhen würden oder wie genau sie die Einkommen der Menschen senken wollen.“
Nun ist anzumerken, dass sich die Vorgänge in Paris monokausaler Erklärungen entziehen, wahrscheinlich sogar erst in der historischen Aufarbeitung richtig eingeordnet werden können. Aber Milanovic weist als Ökonom mit Schwerpunktthema Ungleichheit auf eine größere Frage hin: Wer wird sie denn tragen, die Umstellung der Konsumwirtschaft? Gerade Verbrauchssteuern schlagen oft bei denen durch, die keinen großen Spielraum haben. Wie so oft fehlt eine Brücke zu einem neuen System. Oder vielleicht auch nur die konkreten Vorschläge, die Milanovic fordert.
Aber wären die gewollt? Vielleicht leben wir die kommenden Jahre im Patt: Der postmoderne Konservatismus predigt erfolgreich das Recht auf Verantwortungslosigkeit, weshalb keine Veränderungen zustande kommen. Die postmateriellen Progressiven rufen „Verhinderer“ und zeigen mit dem Finger auf die Schuldigen, sind aber dadurch ebenfalls in der glücklichen Lage, keine Verantwortung tragen und einen eigenen Degrowth-Beitrag leisten zu müssen (jenseits einiger symbolischer Konsumentscheidungen). Eine zynische Prognose, aber keine unrealistische.
P.S.: Zur Rolle von Facebook-Gruppen bei den Protesten kann ich Casey Newtons Newsletter empfehlen, der die aktuellen Recherchen und Indizien zusammenfasst und kontextualisiert.
P.P.S.ICYMI: Auch von mir erscheint dieser Tage wieder ein neuer Newsletter.
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