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Was ist Öffentlichkeit?

Book Review: The Revolt of the Public, by Martin Gurri

„Die Grundthese des Buchs ist, das Social Media die Öffentlichkeit mehr Macht gegeben hat und dass die Öffentlichkeit ihre neugefundene macht dafür verwendet, die herrschenden Institutionen der Gesellschaft anzugreifen, nicht aber sie zu ersetzen. In Beispielen die vom Arabischen Frühling über die Indignado-Proteste in Spanien bis Occupy Wall Street und der Tea Party reichen, macht [der Autor] Gurri 2011 als das Jahr fest, in dem das neue Paradigma der viralen, explosiven Unzufriedenheit erstmals seine Ansprüche geltend gemacht hat.

Was wichtig ist: Gurri definiert ‚Öffentlichkeit‘ sehr seltsam und spezifisch. Sie setzt sich nicht aus dem Volk als Ganzes zusammen, also kann sie nicht in Meinungsumfragen repräsentiert werden. Sie ist auch nicht mit den ‚Massen‘ der Mitte des 20. Jahrhundert zu verwechseln, weil die Öffentlichkeit nicht in hierarchischen Massenbewegungen organisiert, deren Verhalten von Anführern koordiniert wird. Stattdessen definiert Gurri die Öffentlichkeit als die Gruppe von Menschen, die sich stark genug für eine bestimmte Angelegenheit interessieren, um ihr Aufmerksamkeit zu schenken und sich einzumischen. Deshalb ist die Öffentlichkeit in Wirklichkeit in jeder einzelnen Situation eine unterschiedliche Gruppe von Menschen.“

Gurris Buch von 2014 erhält vermehrt Aufmerksamkeit im Moment (obwohl es durchaus umstritten ist, da offenbar nicht ganz sauber recherchiert). Ihm wird im Rückblick auf 2016 und danach die Vorwegnahme einiger Ideen zugeschrieben. Die Definition von „Öffentlichkeit“ ist sehr hilfreich, glaube ich.

Weniger sicher bin ich mir bei der Theorie, dass es eben nicht um den Umsturz geht, sondern um einen „Angriff“ auf Institutionen. Aus einer Reihe fehlgeschlagener Angriffe kann durchaus etwas entstehen, was einer Umsturzlust gleich kommt (einige politische Rhetorik geht ja in diese Richtung, auch der Brexit signalisiert einen solchen Wunsch). Oder aber die Institutionen erhalten gerade dadurch Stabilität, dass sie eben nicht verändert werden können. Aber bedeutet das dann auch Legitimität? Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, dass die Angriffe in Reformen aufgefangen würden – aber da ist wieder daran zu erinnern, dass alle Gruppen eben nicht DIE Öffentlichkeit sind sondern die Öffentlichkeit, wie Gurri sie skizziert.

Eine vierte Variante wäre die Möglichkeit, dass wir uns in einem ständigen Kreislauf aus Angriff, institutioneller Lähmung und Angreifer-Erschlaffung befinden. Aber das würde am Ende als Resultat nur einen statischen Zustand ohne Ende bedeuten.

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