David Runciman, Autor von “How Democracy ends”, bei Russell Brand (01:08:45):
“Ich glaube, dass die Erfolgsgeschichte der Demokratie, die jetzt vielleicht zu Ende geht – und die mein ganzes Leben wahr war – sehr mechanisch war. Das war auch so angelegt, es war eine sehr künstliche Form demokratischer Politik. Nichts daran ist natürlich, Politiker führen etwas auf, machen diese künstliche Zeremonien der Wahlen mit und so weiter. Aber das war es wert! Denn es existierte dieser Gedanke, dass es eine Menge schlechter Sachen gab und Menschen materiell sehr benachteiligt leben. Aber du hast dein Vertrauen in diese Maschine gelegt, weil du praktische Resultate wolltest, die sie liefern konnte.
Jetzt, wo die Welt insgesamt mechanischer geworden ist und diese Mechanisierung der Moderne in alle Teile unseres Lebens eingedrungen ist, gibt es ein wachsendes Gefühl, dass die politische Maschine einfach auf Seiten der Maschinen steht. Und dass sie es nicht sein wird, die uns vor dem schützt, was unsere Fähigkeit bedroht, ein sinngebendes Leben zu führen. Dass sie Teil dessen ist, was unser sinnstiftendes Leben kolonisiert.
Ich kämpfe damit. Nicht nur, weil ich mich an die frühere Phase erinnere. (…) Weil ich wirklich glaube, dass es viele Umstände gibt, in denen ein gut funktionierender demokratischer Staat genau das ist, was du brauchst, um dich vor einigen sehr üblen Szenarien zu beschützen. Wir leben in komplizierten Gesellschaften. Wenn dort etwas schief geht, wenn die Wirtschaft zusammenbricht, wenn der Kapitalismus in der Klemme sitzt, kann dich der Staat da durchbringen.
Aber jetzt, da alles auf diese vernetzte Mechanisierung hinausläuft – noch nicht ganz künstliche Intelligenz, aber wir sind nahe daran, dass künstliche Arten der Lebensorganisation alles durchdringen -, jetzt sieht Politik nur aus wie ein Teil davon. Und wenn du es erst einmal so siehst, ist es wirklich schwierig, Vertrauen zu haben. Vertrauen, dass die Maschine die Maschine besiegt. Und also suchst du nach etwas, das nicht-mechanische Bedeutung hat. Und das verstehe ich. (…)
Moderne Politik war immer diese effiziente, Entscheidungen treffende Maschine. Du fütterst sie mit Menschen, Meinungen, Wählerstimmen, Informationen und du kriegst ein Ergebnis, konkrete Politik (Policy). Manchmal gut, manchmal schlecht, aber so war moderne Politik immer. Doch wenn wir in eine Welt eintreten, in der effiziente Entscheidungsmaschinen praktisch überall sind, ist es schwer, mehr Vertrauen in eine bestimmte Maschine zu haben, als in all die anderen.”
Da gibt es einiges zu verarbeiten. Auf den ersten Blick lässt sich Runciman vorwerfen, dass er eine Form von Naturzustand herbei sehnt, den es nie gab.
Bei genauerem Betrachten ist das etwas voreilig, und dass er die moderne Demokratie als künstliche, effiziente “Entscheidungsmaschine” beschreibt, zeigt seine antiromanische Auffassung von Politik (er denkt eher nach vorne, eine Kernthese seines Buchs ist auch, dass wir beim Nachdenken über das Ende der Demokratie zu sehr an die Zwischenkriegszeit denken, obwohl die Parallelen nur oberflächlich sind).
Kann also eine Entscheidungsmaschine noch ein System beeinflussen, wenn sie in einem Kontext voller anderer Entscheidungsmaschinen agiert, ja nichts anderes als Entscheidungsmaschinen, ihre Informationen und Subjekte überhaupt existieren? Das ist eine beinahe philosophische Frage, zumindest wenn wir dieser Metapher folgen.
Benjamin Bratton hat ein anderes Bild gewählt, das des “Stack”. Um einen alten Blogeintrag hier zu zitieren:
„Brattons Stack, der als Metapher schwer passend zu übersetzend ist und doch jedem Code-Arbeiter sofort einleuchtet, ist die gerade entstehende Megastruktur: Sechs Schichten aus Erde, Cloud, Adresse, Stadt, Interface und Nutzer. Im Stack vollzieht sich der Kollaps bislang unterscheidbarer Sphären: das Soziale und der Profit, Kultur und das Kapital, die Unterscheidung zwischen Information und Materie. Alles ist Teil des Stack.“
Während bei Bratton dieser Kontext-Kollaps zumindest theoretisch durch Verständnis dieses Systems und dann Systemdesign an unsere Bedürfnisse angepasst werden kann, ist für Runciman das System gewissermaßen hermetisch. Oder vielleicht genauer: Ohne Anfang, Ende und Hebelpunkte. Maschinen im Kontext von Maschinen.
In ein paar Jahren können wir die Frage bantworten, ob sich der indirekte gesellschaftliche Determinismus eines solchen Weltbilds wirklich bewahrheitet. Humanisten und Demokraten stehen dabei die Nackenhaare zu Berge. Aber Runciman schließt nicht aus, dass es durch den Willen der Bevölkerung herbeigeführte Veränderungen gibt. Sondern er hält es eben nur für wahrscheinlich, dass sie außerhalb der gegenwärtigen politischen Einflussbereichs und seiner Logik passieren (und womöglich auch außerhalb des Konzepts „Willen“, das ja ohnehin schwierig ist). Diese Entwicklung deutet sich in den vergangenen Jahren auch bereits an.