Fachgespräch Unionsfraktion – Bilanz Netzwerkdurchsetzungsgesetz vor der angedachten Novellierung. Ist eine öffentliche Fraktionsveranstaltung, das Video erscheint danach auf Youtube. Da ich sowieso da bin, schreibe ich meine Notizen einfach ins Blog (Timecodes sind für mich)
2:30 Eröffnung Nadine Schön (CDU-Netzpolitikerin): Befürchtungen Einschränkung der Meinungsfreiheit vor der Einführung – Debatte abgeebbt. Es gibt „nicht das große Overblocking, Unterdrückung von Meinungen“. Aber es gibt Stimmen die sagen, dass sie sagen, dass es nicht so gut funktioniert. Arbeitsgruppen Recht & Digitales haben bereits Vorschläge zur Novellierung vorgelegt.
7:10 Anspielung auf das Künast-Urteil. Aktuelle Debatte zu Rezo „ob das nicht etwas ist, wo alle Seiten sehen, dass die Frage, wie wir im Netz miteinander umgehen, uns alle betrifft.“
9:50 Erstes Panel. CDU-Netzpolitiker Tankred Schipanski (moderiert): Ausländische Parlamentarier haben das NetzDG beim IGF 2019 immer als „Fake-News-Gesetz“ bezeichnet.
12:10 Nina Morschhäuser (Policy Twitter Deutschland): Erstes Halbjahr 2019 eine halbe Million Meldungen, 78 Prozent runtergenommen aufgrund eigener Regeln. Rest aufgrund NetzDG. Was runtergenommen wird, kommt in Datenbank, die Wissenschaft nutzen kann. Was will Twitter? Mehr Kontakt zur Beschwerdestelle, den gibt es bislang nicht. Fristen von 24 Stunden eigentlich machbar, aber bei Ereignissen wie Christchurch und Notre Dame schwieriger. 20 000 Meldungen von Person („einer Person“, aber ich nehme an, sie meint „Leute“, nicht einen Einzelnen) in deutscher Sprache, die sich aber auf Tweets in ausländischer Sprache beziehen.
20:55 Sonja Boddin von ichbinhier e.V. Broken-Windows-Theorie des Internets – wenn Diskurs erst einmal verroht, wird es immer schlimmer. NetzDG ursprünglich begrüßt, aber „kein Durchbruch, freundlich formuliert“. „Unterm Strich nicht wirklich anders als vorher“ – Moderatoren oft überfordert, erkannten Satire nicht. Weiterhin erschreckendes Klima, Menschen trauen sich nicht in den Diskurs. 24:05 Trick, „knapp unter der Strafbarkeitsgrenze zu segeln“. Zivilgesellschaftliches Problem. Plädiert dafür, für Antragsdelikte §185 Kriterien zu entwickeln, die öffentliches Interesse definieren (also Strafverfolgung, nicht Anzeigendelikt).
26:20 Boddin weiter: Oft finden Beleidigungen in abgeschlossenen Gruppen statt, wo man sich nicht melden will. Mehr Transparenz, Entscheidungen müssen nachvollziehbarer und evaluierbar werden (Vereinheitlichung Transparenzberichte). Bessere Schnittstellen, damit Daten öffentlich ausgewertet werden können.
29:10 Nächste Panelistin – Fabienne Marco, Wissenschaftliche Mitarbeiterin TU Professur Political Data Science. Wissenschaft braucht nützliche Daten, keine Rohdaten, aber auch mehr als nichts. Deshalb braucht es eine Zwischenstelle zwischen Forschung und Plattformen. Arbeiten mit Facebook-Datenbanken, Zugriff über Social Science One – umfasst aber nur 0,1 Prozent der versprochenen Daten, nur öffentlich geteilte Links.
32:50 Martin Drechsler, Geschäftsführer Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Dienstanbieter (FSM e.V.). Die hat beantragt, Selbstregulierer im Sinne des NetzDG zu sein. Landesmedienanstalten haben bei anderen Selbstkontrollen letzte Wort, man steht im Austausch. Das funktioniert mit dem Bundesamt für Justiz (die das NetzDG überwacht) nicht – dort sieht man sich als Aufsicht. Letzter Austausch im schriftlichen Verfahren vom April dieses Jahres. Hofft darauf, bald Selbstregulierungsstelle zu sein. Im Kern: Facebook und Youtube sollen besonders kontroverse (unklare) Fälle weiterleiten – man will Präzedenzfälle erzeugen und analysieren, „dann kann die Selbstregulierung einen Beitrag leisten“.
39:00 Wahnsinnig viele Stellen (Landesebene, Selbstkontrolle, Bundesebene) haben Zuständigkeiten in der Medienregulierung. Kann passieren, dass ein Fall als Beschwerde beim Bundesamt für Justiz liegen, bei der Jugendmedienkontrolle, bei der FSM, ohne dass man voneinander weiß. Gab noch einen zweiten, interessanteren Punkt, aber ich habe kurz die Mehrzweckhallen-Architektur des Fraktionssaals bewundert, sorry…
41:00 Carsten Müller (CDU), Berichterstatter Rechtsausschuss. 12 Punkte zur Weiterentwicklung (Positionspapier Unionsfraktion). Wollen noch in diesem Jahr ein erstes Maßnahmenpaket verabschieden (siehe hier). Dann 1. Quartal 2020 Novellierung NetzDG. Wichtig, dass wir uns „mit einer offen geführten Diskussion auch zu Lockerungsübungen beim BfJ beitragen“ [er meint: das Bundesamt für Justiz ist im Prozess zu langsam]. „Netzwerkdurchgesetz schränkt Meinungsfreiheit nicht nur nicht ein“, sondern setzt sie durch (weil, so das Argument, Hassrede Meinungsäußerung von anderen unterdrückt). „Wollen diejenigen, die Diskurs unterbinden wollen, an die Kandarre nehmen.“
Schichtwechsel 2. Podium. Keine Diskussion nach den Statements. 🙁 Hätten sie mal S.T. begonnen und nicht das Büffet beackert…
51:00 Moderatorin Elisabeth Winkelmeier-Becker (Rechtspolitikerin CDU).
52:30 Sabine Frank, Regulierung, Verbraucher- und Jugendschutz Google 300 000 Beschwerden, 71 000 davon entfernt. 23 000 Hassinhalte, 5000 Terrorismus, x-Tausend Gewalt, Persönlichkeitsrechtsverletzungen 15 000. 88 Prozent der Inhalte innerhalb 24 Stunden entfernt. Trotzdem flexiblere Fristen gewünscht. Bei Kindesmissbrauchsinhalten sind 24 Stunden zum Beispiel zu lang, bei komplexeren Inhalten (Äußerungsdelikte) braucht man manchmal länger, wie Gerichte. Lobt die eigenen Transparenzberichte (anders als diejenigen, die aus ihnen genauere Informationen gewinnen wollen), wünscht sich aber genauere Kriterien. Bußgeldleitlinien haben Verfahren präzisiert, gehören ins Gesetz. Knüpft an BfJ-Kritik (ein Jahr Selbstregulierungsantrag der FSM) an. Gibt auch Aufsichtsverfahren des BfJ gegen „die anwesenden Unternehmen“, auch da werde nichts . Strafverfolgung soll intensiviert werden, man sei bereit, den eigenen Anteil daran zu tragen.
59:00 Sabine Frank: „Was soll an die Staatsanwaltschaften gehen? Ist das BKA wirklich die richtige Stelle für die Erstbewertung oder sollte das nicht an die Staatsanwaltschaft gehen?“ „Hoffe nicht, dass wir am Ende die Diskussion führen, warum 250 000 Anträge haben und dann nur 1000 oder 5000 Verfahren“ (nicht genau transkribiert – übersetzt: leitet nicht nach sinnlosen Kriterien weiter, habt genügend Leute, um das zu verfolgen).
1:02:30 Andreas May, Leitender Oberstaatsanwalt in Frankfurt am Main: „Viele Kollegen können Internet-Ermittlungen nicht“. Sind deshalb Kooperation mit NGOs eingegangen, die Strafanzeigen zuliefern. Sichern teilweise Beweise. In einem Jahr ca. 3000 Strafanzeigen entgegen genommen, teilweise per App (Conquista), seitdem explodieren Verfahrenszahlen. Am Rande des Machbaren angelangt. Kritisiert Punkt 9 des Positionspapiers (Auskunftsverhalten gegenüber Straverfolgungsbehörden und Anreize für Klarnamennutzung“), da zu wolkig. „Wir brauchen schnell Daten von sozialen Netzwerken, unkompliziert und valide – keine Schrottdaten“. Und Möglichkeit, diese Daten einer Person zuordnen zu können (Stichwort IP-Adresse). Fordert Änderung TKG.
1:07:00 Provider-Sicherung (er meint die Plattformen, glaube ich) funktioniert nicht. Teilweise wird unter Community-Standards gelöscht, nicht unter NetzDG (siehe Twitter oben), deshalb keine Daten gesichert. Dann muss man sich in die Rechtshilfe an die USA wenden, das funktioniert sich. Brauchen IP-Adresse innerhalb von sechs Tagen (Provider Höchstsicherung, wenn sie überhaupt sichern). Man braucht eine Art der Vorratsdatenspeicherung, um IP-Adresse zuordnen zu können, so Mays Argument. Wenn jetzige Löschzahlen ans BKA gehen, nutzen ein paar Hundert neue Leute nix. 1:11:00 Proaktive Meldeverpflichtung eines Dienstanbieters ist ein Bruch mit dem gängigen System des StGB.
1:12:30 Eva-Maria Kirschsieper (Facebook Managing Director Central Europe) Geht auf Kritik nicht ein, macht erstmal eigene Punkte. 1. Quartal 160 000 Inhalte gelöscht, weil sie gegen Hassrede-Regeln verstoßen (sagt nicht: NetzDG). „Die Arbeit auf den Plattformen wurde besser, ich glaube nur nicht, dass das Problem besser geworden ist.“ 1:16:00 „Klarheit ist das, was dem NetzDG fehlt. Würden uns freuen, wenn Klarheit hergestellt wird, auch im Hinblick auf das BfJ“.
1:13:30 Überraschungsgast Heinz-Josef Friehe, Präsident des kritisierten Bundesamts für Justiz, tritt ein. Reißt sich den Maßanzug vom Leib, ein Superheldenanzug mit dem Slogan „And Justice For All“ kommt zum Vorschein. „Ich lasse mir das nicht bieten. Gerechtigkeit braucht Zeit!“, ruft er.
Natürlich nicht, die Anhörung geht wie gehabt weiter. Auch Facebook-Vertreterin Kirschsieper fordert, die nächste Fassung des Gesetzes konkreter zu gestalten.
1:20:30 Medienrechtler Rolf Schwartmann, Leiter Kölner Forschungsstelle für Medienrecht mit einer Grundsatzrage: „Wie unterscheidet man verbotenen von erlaubtem Hass? Es ist ja nicht verboten zu hassen.“ Und: „Wir wissen bis heute nicht, ob das Schmähgemacht von Jan Böhmermann von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.“ Nicht nach sieben Stunden, nicht nach sieben Tagen. Kann Probleme der Plattformen nachvollziehen. Regulierte Selbstregulierung findet er richtig.
1:23:40 Hansjörg Durz (CSU, Stellvertretender Vorsitzender Ausschuss Digitale Agenda). Wird als Mann mit dem „Ohr an der Netzcommunity“ vorgestellt. War auch beim IGF, berichtet über das dezentrale Netz in Gefahr. Lobt schrittweise Verbesserung des Gesetzes. Transparenz heißt: Was wird auf Basis der Hausregeln runter genommen, was aufgrund strafrechtlicher Relevanz? „Da haben wir keine validen Daten, kein einheitliches Vorgehen.“ Fordert „konkretes Handeln“ beim Zugang zu Daten. Und: Novellierung darf Strafverfolgungsbehörden nicht überlasten.
1:29:15 Facebook-Vertreterin Kirschsieper fordert, dass im Gesetz auch Hausrecht der Plattformen gesichert wird und klar festgelegten Meldeweg. Daraus ergibt sich auch, ob zuerst nach Plattform-Regeln oder nach NetzDG geprüft wird. Google-Vertreterin Frank: Wir löschen zuerst nach Hausregeln. Polizei oder Staatsanwaltschaft sollte weiterhin Ermächtigungsgrundlage nachweisen, wenn sie Daten wollen (sonst Rechtsunsicherheit für Plattform, so das Argument). 16000 Auskunftsersuchen aus Deutschland in einem Jahr. Internationalisierung der Datenherausgabe-Standards sinnvoll.
1:36:00 Medienwissenschaftler Schwartmann: Löschung nach Hausrecht heißt, Kommentar ist weg – Löschen unterm Radar, Strafrecht hat keinen Zugang mehr. Facebook-Kirschsieper zum Stichwort Hausrecht – Beispiel Veranstaltung zur Kopftuchverbrennung. Nicht strafrechtlich belangbar, aber FB wollte das nicht, hat eigene Standards genutzt. Google-Frank: Unterscheidung Takedowns Hausrecht und Strafrecht in Transparenzberichten ist machbar.
1:43:30 Thorsten Frei (Vize-Fraktionschef). „Dinge, die in der analogen Welt selbstverständlich sind…“ Ausleitungsverpflichtung an Strafverfolgungsbehörden will man schon in der nächsten Woche in einem Referentenentwurf vorliegen haben (IMO gerade der Teil, der nach Rechtsprinzipien und organisatorisch am kompliziertesten ist, btw).
That’s all folks.