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„Warrior Ethos“

Es klingt womöglich empathielos, aber ich verfolge die Situation in den USA gerade nicht detailliert. Nicht, weil mir der Tod von George Floyd egal wäre. Sondern wegen der Unübersichtlichkeit: Was sich entwickelt, was genau passiert, wie es zu den nächtlichen Eskalationen kam und wie diese Bilder im Verhältnis zur Gesamtsituation stehen – das alles wird sich frühestens in ein paar Tagen feststellen lassen. Bis dahin geht zu viel mentale Bandbreite verloren, die Videos und Instant-Analysen wahrzunehmen, nicht wissend, wie sie sich in das große Ganze einsortieren lassen. Ein Luxus, ich weiß. Aber ich weiß auch, dass alle meine Empathie es nicht vermögen wird, mich wirklich in die Lage schwarzer Amerikaner versetzen zu können. Was ich in den USA allerdings gelernt habe, war, mich mit meinem eigenen Rassismus auseinanderzusetzen.

Alles andere ist in Grundzügen bekannt: Geld und Hautfarbe sind in den USA weiterhin die entscheidenden Marker, wenn es um das Leben und Überleben geht. Das Finanzielle gilt für das Aufeinandertreffen mit dem Gesundheitssystem, die Hautfarbe betrifft die Bürgerrechte. Zwei Punkte, den ich im Zusammenhang mit der amerikanischen Polizei für relevant halte: Das Prinzip der „qualifizierten Immunität“, die Staatsbedienstete und damit auch Polizisten vor vielen Zivilklagen bei Fehlverhalten schützt, wenn die Tat nicht zur Zeit der Ausführung als Gesetzesbruch „allgemein festgestellt“ war. Der zweite Punkt ist die „Warrior Ethos„: Das Polizei-Ethos des Kriegers, der ständig in Gefahr ist:

„The warrior approach encourages officers to believe that they are always under threat. It’s been called a fear-based, confrontational way to deal with the public and has caused some citizens to view police as more of an occupying force than as public servants.“

Dieser Krieger-Ethos hat auch mit der Allgegenwart von Waffen zu tun. In den USA glaubte mir niemand, dass ich deutsche Polizisten kenne, die noch nie ihre Dienstwaffe ziehen mussten. Der „Warrior Ethos“ dürfte in Städten ausgeprägter als auf dem Land sein, wo Polizisten durch persönliche Bekanntschaft eher als „Schutzwächter“ agieren. Die Militarisierung der Polizei durch Ausrüstungsdeals trägt zu diesem Krieger-Gefühl bei.

In beiden Punkten sind Veränderungen möglich: Der Supreme Court könnte schon bald die „qualifizierte Immunität“ im Grundsatz verhandeln. Und die Veränderung des Selbstbilds vom „Krieger“ zum „Schutzwächter“ ist etwas, was bereits unter Obama stark in die Polizei hineingetragen wurde und was auf lokaler Ebene weiterhin passiert. Das alles löst nicht das Gesamtproblem. Das besteht im Moment nicht nur darin, dass die Proteste gesellschaftlichen Reformbedarf anzeigen; sondern auch in der Möglichkeit, dass das genaue Gegenteil passieren wird, also die Lage politisch auf struktureller Ebene absichtlich verschlimmert wird, nicht nur durch Trump. Nebenbei ist ein politisches Bündnis aus Sicherheitskräften und politischer Exekutive in jeder Demokratie ein Warnsignal.

P.S.: Ich nehme auch mit Interesse wahr, wie groß die internationale Aufmerksamkeit bis hin zur Solidarisierung ist. Auch hier habe ich keine Erklärung, jenseits der brutalen Tat und des klaren Feindbild-Rolle, die Trump einnimmt. Dass allerdings vor der US-Botschaft demonstriert wird, während wir hier selber genug Rassismus-Probleme haben, erscheint mir irgendwie seltsam.

 

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