Über die US-Präsidentschaftswahl können geneigte Leser anderswo genug finden, deshalb hier ein paar Nebenaspekte. Fürs Protkoll Ich schätze, dass Biden mit 320+ Wahlmännern gewinnt. Wetten würde ich nicht darauf, aber eine hohe Wahlbeteiligung ist eigentlich in diesem Jahrhundert bislang immer ein Signal für demokratische Siege. Und dann ist natürlich noch die Frage, welche Stimmen überhaupt gezählt werden. Sollte Biden verlieren, werden ähnliche Vorwürfe wie bei Hillary Clinton laut: Ein schwacher Kandidat, zu wenig Auftritte am Ende (am Sonntag fanden Bidens Auftritte sämtlichst nicht weiter als eine Stunde von Delaware entfernt statt).
Aber das nur am Rande: Hier die Punkte, die ich persönlich ganz spannend finde.
Montana & Co: Gelingt die Gouverneurs-Strategie der Demokraten?
Auch wenn Staaten wie Montana oder Missouri komplexer sind, als es in Deutschland wahrgenommen wird: Es ist innerhalb weniger Jahre fast unmöglich für die Demokraten geworden, in diesen roten Staaten Senatssitze zu gewinnen. In Montana tritt nun mit Steve Bullock ein amtierender (demokratischer) Gouverneur an; im inzwischen stark demokratischen Colorado mit John Hickenlooper ebenfalls ein bis vor kurzem amtierender Gouverneur. Gouverneurswahlen sind weniger parteigeprägt, über solche Figuren dann Senatssitze der Republikaner anzugreifen, erscheint logisch (und ist auch nicht völlig neu). In Montana wird sich zeigen, wie erfolgsvorsprechend die Strategie für die 2020er in wirklich stark republikanisch geprägten Bundesstaaten ist.
(Ich rechne übrigens nicht damit, dass die Demokraten direkt den Senat übernehmen, sondern mit 49/49 vor den Januar-Nachwahlen in Georgia).
Texas State Legislature: Chance für die Demokraten?
Sollte Biden Texas gewinnen, wäre das nur im Rahmen eines landesweiten Erdrutschsiegs. Dennoch könnten die Demokraten erstmals seit 2003 die Mehrheit in der Texas State Legislature gewinnen, also einer Parlamentskammer des Bundesstaats. Faktoren wären dann demographische Veränderung und ein übertriebener Kulturkampf der immer extremeren Republikaner, der gerade in den Vororten schlecht ankommt.
Wie bereits durch die Gouverneurssiege in Michigan und Wisconsin würde ein solches Ergebnis nicht zuletzt Mitsprache bei der anstehenden Neu-Berechnung der Wahlbezirke bedeuten; auch Texas hat fieses Gerrymandering, meine glühend den Demokraten zuneigende Ex-Stadt Austin ist zum Beispiel Teil von sechs Bezirken, die teilweise Hunderte Kilometer ins Hinterland reichen und 5:1 an Republikaner gehen. Nicht nur das könnte sich ändern, wegen des Bevölkerungswachstums wird Texas wahrscheinlich weitere Wahlbezirke erhalten, wird also im Repräsentantenhaus noch einmal wichtiger.
Insgesamt bin ich allerdings skeptisch, wie regelmäßig blau Texas werden könnte; ähnlich wie bereits vor mehr als 100 Jahren bei den Italienern scheint ja unter männlichen Ü30-Hispanics eine Hinwendung zu den (traditionellen) Werten der Konservativen stattzufinden.
Gig-Worker Volksentscheid in Kalifornien
Kalifornien hat vor einiger Zeit Fahrer für Uber, Lyft oder Lieferdienste wie Doordash als feste Mitarbeiter klassifiziert. Nun könnte das per Volksentscheid aufgehoben werden (Proposition 22): Die Mitarbeitenden wären dann wieder Freelancer, wenn auch mit einem Mindest-Stundenlohn (allerdings werden Wartezeiten nicht bezahlt).
Uber und Co haben sehr viel in das Gelingen des Volksentscheids investiert, die Pro-Seite hat mit 200 Millionen Dollar mehr als zehnmal so viel wie die No-Seite ausgegeben. Sogar die Lieferdienst-Kuriere selber wurden ständig aufgefordert, dafür Werbung zu machen, also letztlich Marketing gegen ihre eigenen Interessen zu machen. Stand heute führt in Umfragen das Aufhebungs-Lager, aber es ist sehr knapp.
(P.S. Der stärker verfolgte kalifornische Volksentscheid ist die Abschaffung von Affirmative Action)
Entkriminalisierung von Magic Mushrooms
Nach der Cannabis-Legalisierung beginnt nun auch die Dekriminalisierung bei psychedelischen Pilzen: Denver, Oakland, Santa Cruz und Ann Arbor haben die Nutzung de facto legalisiert. Mit Washington D.C. könnte nun die Hauptstadt die Entkriminalisierung Volksentscheid beschließen (sofern der Stadtrat zustimmt). Oregon geht sogar noch weiter: Einmal soll es einen Lizensierungsprozess für Ärzte und Therapeuten geben, die Patienten mit Psylocybin behandeln wollen; zugleich steht ein Volksentscheid an, der die Dekriminalisierung der Nutzung aller Drogen vorschlägt.
Bei dem ganzen Thema finde ich bemerkenswert, welch großen Einfluss Michael Pollans Buch „How To Change Your Mind“ hatte.
Schul-Fragen auf dem Wahlzettel
Viele Bundesstaaten finanzieren das Schulwesen über Steuern, zum Beispiel auf Immobilieneigentum. In verschiedenen Bundesstaaten gibt es hierzu Volksentscheide, Steuern für die Schulfinanzierung zu erhöhen: In Kalifornien geht es um ein Schlupfloch bei Gewerbeimmobilien, in Arizona geht es um bundesstaatliche Einkommenssteuererhöhungen für Einkommen von mehr als 250 000 US-Dollar, in Colorado sollen E-Zigaretten höher besteuert werden, um die Schulen besser zu finanzieren. Tatsächlich scheint die Schulbildung eines der wenigen Themen zu sein, bei dem Steuererhöhungen akzeptiert werden.
Einige andere Bundesstaaten wie Nevada oder North Dakota haben zugleich Volksentscheide auf der Liste, in denen es um die Rolle und Besetzung der gewählten Schulbehörden-Vertreter geht. Bildung ist in den USA politisch, nicht nur wegen der Privatisierungen, sondern auch wegen der ideologischen Ausrichtung der Lehrpläne. Hier geht es häufiger darum, welchen Einfluss die Politik nehmen darf und sollte.
Hehe, ich weiss noch, wie wir Du mir an diesem Wahlabend vor vier Jahren schriebst, dass Du damit rechnest, dass Hillary irgendwann Nacht, gegen 2:30 oder so, ihren Sieg bekannt gibt und ich dann relativ beruhig eingeschlafen bin, nur um morgens um 6:00 aufzuwachen auf’s Handy zu schauen und sofort hellwach war und einem Puls wie ein Bison auf der Flucht hatte … hehe. Deswegen bin ich dies Mal echt vorsichtig. Aber das sind wir wohl alle.
Danke für die spannenden Nebeneinsichten und eine schöne Wahlnacht Dir!