Ich weiß nicht, was paradoxer erscheint: Auf Twitter seine Abneigung gegen Twitter kundzutun. Oder seine Abneigung gegen Twitter nicht auf Twitter kundzutun. Sondern zum Beispiel hier, wo nur ein paar Dutzend Leute lesen.
Wie dem auch sei, das Essay von Caitlin Flanagan im Atlantic verlinke ich mit dem selben Genuss, mit dem ich es gelesen habe. Flanagan beschreibt darin sehr humorvoll, wie sie ihren Sohn das Twitter-Passwort ändern lässt und für einen Monat auf Twitter-Entzug geht. Am Ende des Monats hat sie zwar viel mehr Bücher als sonst gelesen und das Twitter-Jucken ist etwas schwächer geworden, dennoch lechzt sie danach, zurückzukehren. Und ihr Sohn gibt ihr deshalb eine Passage aus Simone Weils „Anmerkung zur generellen Abschaffung der politischen Parteien“ zur Hand. Nur, dass Flanagan das Wort „Parteien“ durch „Twitter“ ersetzen soll. Heraus kommt:
“The mere fact that Twitter exists today is not in itself sufficient a reason for us to preserve it. The only legitimate reason for preserving anything is its goodness. The evils of Twitter are all too evident; therefore, the problem that should be examined is this: Does it contain enough good to compensate for its evils and make its preservation desirable?”
Die Antwort auf die letzte Frage lautet meiner Meinung nach: Nein. Twitter enthält unter dem Strich nicht genug „Gutes“, um die die gesammelte Schlechtheit dieser Plattform auszugleichen. Und nein: Twitter zu erhalten, ist nicht erstrebenswert.
Wer mich kennt und dabei war erinnert sich vielleicht, wie ich 2009/10 in meiner Redaktion für die Twitter-Nutzung geworben habe. Dass ich Seminare zu Social Media gegeben habe. Und gerade deshalb mache ich mir das Urteil nicht leicht – zumal der Weg in die Unsichtbarkeit dort wahrscheinlich meiner beruflichen Karriere schadet. Aber wir sind schon länger an einem Punkt, an dem Twitter – so klein der Nutzerkreis sein mag, so viele positive Verbindungen ohne Zweifel durchaus geschaffen werden – in unserer gesellschaftlichen Karmabilanz unter dem Strich ein fettes, fettes Minus ist. Auch ohne @realdonaldtrump.
Aus dem Archiv:
Twitter 2017 ™
Komplexität und Content
Ein Knopf, den es zu drücken gilt
Borges und ich (und Social Media)