Ich will dieses vielschichtige Harpers-Essay (leider inzwischen hinter der Paywall) über „Gewohnheiten“ nicht unnötig vereinfachen, aber eine der Lehren war für mich: Wenn es um Sinn und Zweck von Gewohnheiten geht, befinden wir uns gerade in einer Sackgasse.
Denn einerseits ist diese Sorge, dass wir bzw. unsere Arbeit immer maschinenähnlicher werden – Gewohnheitstätigkeiten sich also den allgegenwärtigen Computern anpassen. Das ist inzwischen eine der gängigeren Interpretationen, wie sich die Gesellschaft entwickelt (Ivan Illich und Bernard Stiegler würden sicher zustimmen), für die Logistik-Arbeiten in Amazon-Hallen nur das plakativste Symbol sind. Theoretisch hätte es ja auch anders laufen können, nämlich mit der Anpassung der Rechner an unser Verhalten, also mit einem stärkeren Werkzeug-Charakter. Aber so funktioniert zivilisatorische Entwicklung offenbar meist nicht. Vielleicht noch einmal als tl;dr formuliert: Die Routinen der Gegenwart und Zukunft könnten sich als Anpassung an die Funktionen des Computers interpretieren lassen, die kulturpessimistische Interpretation ist ein maschinenartigerer Mensch.
Auf der anderen Seite werden gerade in den USA von „Habits“, also Gewohnheiten, als Lösung für Lebensprobleme aller Art präsentiert: Positive Routinen, die uns dabei helfen, unser Lebens-Micromanagement zu bewältigen und persönliche Ziele zu erreichen. Bei genauerem Hinschauen ist allerdings auch das eine Sackgasse: Denn in der Regel dienen diese Routinen ja nicht der Selbstverwirklichung, sondern der Selbstoptimierung. Was wir nicht miteinander verwechseln sollten.
Die Verbindung zwischen beiden ist die Maschinenzone: Also jene Zeit, in der wir fast meditativ – und dem Automatenglücksspiel ähnlich – auf unseren Smartphones herumdrücken, einfach, weil wir keine zeitlichen Leerstellen mehr ertragen können (oder es uns vor der anstehenden Pflicht graut).
Wenn wir uns allzu lang in der Maschinenzone verlieren, müssen wir versuchen, die verlorene Zeit irgendwo zurückzugewinnen. Oder die Gewohnheit zu brechen, indem wir sie mit einer neuen, disziplinierteren Gewohnheit überschreiben. Womit wir wieder bei den gepriesenen „Habits“ sind.
Das alles ist natürlich ein ziemlich intensiver Kreislauf, eine Zeitverdichtung galore. Dabei vergessen wir völlig, dass „Gewohnheiten“ einmal mit Spiritualität verknüpft waren. Im Protestantischen sicherlich im Kontext „Spiritualität durch Arbeitsfleiß“, aber eben auch – zum Beispiel im Zen – als Form des „Zurücktretens hinter der Welt“ bis hin zum Verschwinden des Ichs.
Unser Umgang mit solchen Routinen, von der Selbstoptimierung zum besseren Funktionieren bis hin zur nicht unberechtigten Sorge, eher der passive Teil einer sich vollziehenden Automatisierung und Vorhersagbarkeit der Welt zu sein, ist dagegen weit von dieser Form der Spiritualität entfernt. Vielmehr scheint sie im Moment eher zu einer spirituellen Erschöpfung zu führen.
„Maschinenzone“ – dies könnte glatt ein Titel eines Scifi-Doku-Romans sein. Vielleicht hast Du ja Lust einen zu schreiben? Ich wäre der erster Käufer.