(Eine Notiz, die in dieser Art irgendwann mal vielleicht in einen Spinoff-Newsletter des Internet Observatoriums kommt)
Ich gebe zu: Als die Einigung zum Digital Markets Act verkündet wurde, habe ich mir den Luxus erlaubt, noch keine Meinung zur Interoperabilität bei Messengern zu haben. Außer, dass es technisch komplex wird und noch unklar ist, wie das mit Verschlüsselung einher gehen soll..
Wie technisch komplex, das kann ich immer noch nicht sagen: Technisch gibt es XMPP-Protokoll, ehemals Jabber, oder auch Matrix als eine neuere Form. Die Matrix-Leute sehen jetzt natürlich ihre Zeit gekommen und beschreiben, wie Verschlüsselung und Interoperabilität einhergehen soll. So wie ich das verstehe: Einmal über die Abwicklung der Brücke auf dem Gerät des Nutzers (also der Punkt, an dem entschlüsselt-verschlüsselt-weitergeleitet wird). Oder aber direkt über die Nutzung des dezentralisierten Matrix-Protokolls, das ebenfalls E2E-Verschlüsselung ermöglicht.
Allerdings stehen dem nicht nur die Tech-Firmen entgegen, die stinksauer sind und ein eigenes Interesse haben, das als unlösbar darzustellen. Sondern auch andere Kryptographie-Experten. Ich bin auch unsicher, ob nicht die ganze Identitätsfrage (also: wie sieht ein dezentrales Identitätsprotokoll aus) sogar noch wichtiger ist. Und auf HackerNews wird noch darauf hingewiesen, dass man sich damit eigentlich der Möglichkeit von Web-Messengern verbaut.
Der Snark dazu – sinngemäß „ihr erfindet gerade SMS neu, genau mit der gleichen Funktionseinschränkung“ – scheint mir etwas übertrieben, hat aber einen wahren Kern. De facto setzt die EU damit politisch bestimmte technische Standards für einen bestehenden Markt. Allerdings, daran erinnert Ben Thompson: Alle erfolgreichen Protokolle wie E-Mail etc. haben gemein, dass die Standards & Protokolle zuerst kamen, und dann erst die Verbreitung der Software-Clients. Da entbehrt es gerade nicht einer besonderen Ironie, dass bei der internationalen technologischen Standardisierung – inklusive Internet – gerade China massiv in die entsprechenden Gremien drängt bzw. dort schon eine gewichtige Rolle spielt, seit die USA das Thema unter Trump hergeschenkt haben. Eigentlich müsste jetzt die EU eine Einheit ausgründen, die entsprechende Messenger-Protokolle anschiebt, koordiniert und vielleicht auch entwickelt (allerdings wäre hier wieder die Gefahr, dass man sich Backdoors vorbehält).
Aber nehmen wir an, das Ganze funktioniert auch so: Öffnet es wirklich den Markt? Werden plötzlich die Nutzer Signal statt WhatsApp verwenden? Natürlich ist das für die Nutzerschaft eine Erleichterung, insofern sie kein „Multihoming“ (also Installation mehrerer Messenger gleichzeitig) mehr betreiben müssen. Und in der Theorie ermöglicht das superneue Killer-Messenger, die WhatsApp den Rang ablaufen, weil es die Lock-In-Effekte nicht gibt. Aber in der Praxis? Ich bin mir nicht sicher, dass das irgendeinen größeren Effekt haben wird.
Am Ende, und das merken Kritiker an, muss sich eine gute Wettbewerbspolitik an der Zukunft messen lassen. Also daran, ob die neuen Tech-Paradigmen weiterhin von den alten Akteuren kommen, oder auf dem regulierten Spielfeld auch neue Akteure zum Zug kommen. Auch dafür gibt es Mechanismen im DMA, die Interoperabilität gehört allerdings nicht dazu und scheint mir – meine Meinungsbildung ist noch nicht abgeschlossen – eher aus einer politischen Grundsatzhaltung als aus praxisbezogenen Überlegungen zu kommen.