Die Antwort auf obige Frage kann ich selbst natürlich nicht beantworten, deshalb fasse ich hier zusammen, was zwei Fachleute sagen.
Da wäre Barry P. Posen, Professor für Internationale Politik am MIT (Foreign Affairs, $):
Für ihn gibt es zwei Wege, die theoretisch für die Ukraine zum Sieg führen:
(1) Über Landgewinne. Die wären mit verbunden damit, dass die Ukraine die russische Armee mittels mechanisierter Kriegsführung (Panzer, Infanterie, Artillerie) abzunutzen oder taktisch überlistet. Allerdings spricht nichts dafür, dass die Ukraine in diesem Bereich einen Vorteil hat – zumal ein offensiver Krieg schwieriger zu führen ist als ein defensiver Krieg. Auch Unterstützung aus dem Westen helfe nicht unbedingt, weil der seit dem US-Einmarsch im Irak keinen Krieg dieser Art mehr geführt hat.
(2) Über den Zusammenbruch des Putin-Regimes, also einem Putsch in Moskau (kombiniert mit fehlenden russischen Erfolgen auf dem Schlachtfeld). Posen argumentiert, dass die Sanktionen das nicht erreichen werden (und schon im Falle Irans bei einem weit stärker importabhängigen Land nicht funktioniert haben) und dass Putin als ehemaliger Geheimdienstler genau im Auge hat, wenn es in seinem Umfeld oder bei den Oligarchen zu Zusammenschlüssen gegen ihn kommen könnte.
Posens argumentiert das Ganze noch ausführlicher, unter dem Strich bleibt seine Prognose: Es wird ein Krieg, bei dem sich wenig bewegt, deshalb hält er eine diplomatische Offensive für angebracht. Seine Skizze einer möglichen Lösung:
„Each side would have to make painful concessions. Ukraine would have to relinquish considerable territory and do so in writing. Russia would need to relinquish some of its battlefield gains and renounce future territorial claims. To prevent a future Russian attack, Ukraine would surely need strong assurances of U.S. and European military support, as well as continuing military aid (but consisting mainly of defensive, not offensive, weapons). Russia would need to acknowledge the legitimacy of such arrangements. The West would need to agree to relax many of the economic sanctions it has placed on Russia. NATO and Russia would need to launch a new set of negotiations to limit the intensity of military deployments and interactions along their respective frontiers.“
Auch der Militärhistoriker Lawrence Freedman beschäftigt sich mit der Frage, ob die Ukraine gewinnen kann (Substack).
Freeman schreibt von einer „Übergangsphase des Kriegs“. Ein russischer Sieg ist unwahrscheinlicher geworden, seitdem die Anfangsoffensive nicht dazu führte, dass Selenskyj ermofdet oder entführt wurde. Eine Kapitulation der Ukraine kann fast als ausgeschlossen gelten.
Moskau hofft deshalb auf die Kriegsmüdigkeit im Westen. In den Gefechten zeige sich, dass der russischen Armee die Präzisionswaffen ausgehen, auch die Panzerproduktion dürfte wegen des Chipmangels derzeit nicht laufen. Der Kampf um Sjewjerodonezk musste vorwiegend mit Einheiten aus Luhansk bestritten werden. Während Posen den Berichten über hohe russische Verluste nicht so recht glaubt, geht Freedman davon aus, dass dies den Tatsachen entspricht.
Auch die ukrainische Seite hat hohe Verluste, nicht zuletzt in erfahrenen Einheiten. Mit Haubitzen und Training am modernen Gerät im Westen hat man aber die Perspektive für eine Gegenoffensive. Die steht allerdings auf wackeligen Beinen, denn unter dem Strich hat Kiew nur wenig Material. Freedman geht von einer „opportunistischen“ Taktik bei der Gegenoffensive auf, ohne dies genauer zu spezifizieren. Teil davon dürfte sein, vor allem russische Munitionsdepots zu zerstören.
Letztlich skizziert Freedman keinen direkten Weg zum Sieg der Ukraine; er geht allerdings davon aus, dass das russische Militärkommando realistisch genug ist, Putin um eine politische Lösung zu bitten, wenn alle Trends ins Negative laufen. Sein Fazit: Die Ukraine kann gewinnen, aber es ist unklar, ob das passieren wird.