….das ist die Anspielung auf Neil Postman* das Kit Wilson in diesem Essay in The New Atlantis verwendet. Wilson argumentiert: Wir verbringen viel zu viel unserer täglichen Zeit damit, Text zu verfassen oder zu dekodieren. Und damit bewegen wir uns inzwischen deutlich tiefer in einer Welt der Abstraktion, als in einer Welt der gelebten Erfahrung. Und das ist ein Problem: Denn die Karte, das wissen wir ja, ist nicht das Gebiet.
Diese Kritik der Abstraktion verbindet Wilson noch mit einer Zivilisations- bzw. Wahrnehmungskritik:
„The anthropologist Joseph Heinrich has suggested that the rise of literacy in the West helped to produce a certain mindset that he calls “WEIRD” — for “Western, educated, industrialized, rich, and democratic” — that excludes some aspects of reality in favor of others.“
Zuerst klingt für jemanden wie mich, der sich als buchstabensüchtig definiert, ziemlich interessant: Denn natürlich ist „Lesen“ erst einmal keine direkte zwischenmenschliche Erfahrung, sondern etwas, das Sprache uns im Alleinsein vermittelt. Und ja, es stimmt: Abstraktion führt weg vom Menschen in seiner persönlichen Besonderheit. Und im Hypermedium Social Web hin zur Sophisterei, wie Ted Gioia neulich unseren Zeitgeist beschrieb.
Also: Ich komme nicht so recht weiter mit dieser Theorie. Mein eigenes Problem kann ich vielleicht so zusammenfassen: Lesen, also Texte dekodieren, ist unter dem Strich eine passive, konsumierende Tätigkeit. Sicher nicht die schlechteste Art, seine Zeit zu verbringen, aber eben etwas anderes als Dinge zu erschaffen oder zu bearbeiten. Auf der anderen Seite ist das „Erschaffen“ von Text für mich eben auch mein Beruf – und wenn ich hier schreibe, komme ich mir manchmal wie ein Handwerker vor, dessen Hobby Handwerkstätigkeiten sind. Und was die fehlende Zeit für „gelebte zwischemenschliche Erfahrung“ betrifft: Hier mache ich tatsächlich eher diese absurde Form von Arbeitszeitverdichtung unserer Zeit verantwortlich als meine Neigung, in meiner Freizeit auch noch Texte zu lesen.
*korrigiert, danke Ben!
Ich mag mich irren (und hab den Artikel noch nicht gelesen) aber ist der Titel nicht eher ein Anspielung auf Neil Postmans „Amusing Ourselves to Death“ (das ich auch noch nicht geleseb habe, aber jetzt defintiv mal lesen will)?
In der Sache schreibe ich nach den Urlaub mal mehr. :*)
Stimmt, ich hatte die ganze Zeit „The Medium is the Message“ beim Schreiben im Hinterkopf, daher kommt das wahrscheinlich.
für mich war der knackpunkt jener:
„We are so used to our screens bombarding us with text — news, tweets, emails — that we are almost surprised to discover that the walls around us have nothing to say. […] Our immediate surroundings, in contrast, feel curiously structureless and amorphous — the sound of traffic outside or the sensation of cold air on our skin means … what?“
das finde ich auch ein typisches reisegefühl. klar, kann ich mir reiseführer, artikel und sonstiges informatives über ort/kultur/menschen reindödeln, aber ab einem gewissen punkt kann ich zeit und raum nicht mehr mit bedeutung aufladen. ich muss mir dann eingestehen, dass ich an diesem punkt einfach existiere und diese alte mauer da drüben nichts von römern, barock, partisanen oder sonstwas erzählt. (vorausgesetzt ich bin kein archäologe mit spezialisierung mauern 😉
ein wenig also ambiguitätstoleranz auf existenzieller ebene. der text ist für mich eine erinnerung dem ungeschriebenen, unsagbaren, undenkbaren den notwendigen raum zu geben. in kurz: „leg doch mal das telefon weg!“
@thomas: Jein… also, die Passage hat mich auch angesprochen. Aber wenn ich die Zwiebel weiter schäle, bin ich letztlich bei spirituellen Fragen, die unabhängig vom Medium „Text“ sind. Warum wir Menschen unsere Gedanken immer in Vergangenheit und Zukunft schweben lassen, statt sie im Hier und Jetzt zur Ruhe zu bringen. Da scheint mir die Fokussierung auf „Text“ eher ein Symptom, als die Ursache.
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