Ich erinnere mich gut an ein Videogespräch ungefähr 2016 oder 2017, als ich noch drüben in den USA war. Ein Freund schilderte mir damals aus Deutschland, wie rücksichtslos die Menschen geworden seien, dass speziell im Autoverkehr erkennbar sei, wie jede/r nur noch auf den eigenen Vorteil bzw. die Vorfahrt aus sei. Eine Art richtig ätzender Vibe-Shift.
Mir ist das deshalb im Gedächtnis geblieben, weil ich seit meiner Rückkehr 2019 einen ähnlichen Eindruck habe. Und ich das nicht nur auf den Verkehr beziehen würde, wo es aber natürlich am deutlichsten sichtbar wird. Hier in Berlin warten sowohl Autofahrer als auch Fahrradfahrer nur darauf, sich aufregen zu können (es gibt eine Subspezies Radfahrer, die nur auf den Moment lauert, sich benachteiligt zu fühlen und laut schimpfend auf Motorhauben schlagen zu dürfen). Auf dem Gehweg wiederum herrscht wiederum in vielen Stadtteilen Revierdenken, Entgegenkommenden auszuweichen, ist offenbar ein Zeichen von Schwäche, Digger.
Nun ist Berlin ein Sonderfall, weil im Alltag Höflichkeit weder gefordert noch verbreitet wird, was ich für eines der vielen zivilisatorischen Defizite dieser Stadt halte. Aber es liegt eben nicht nur hier etwas in der Luft, dass sich seit meiner Rückkehr spüre: Der dünne Firnis der Zivilisation hält einstweilen (an den meisten Orten zumindest); aber irgendwie scheint man an das Leben vermehrt als Nullsummenspiel heranzugehen. Vielleicht verschieben sich die zwischenmenschlich angenehmen Momente, die es im Alltag natürlich auch gibt, vermehr in das engere Umfeld. Was natürlich zur grundsätzlich zur fortgesetzten Individualisierung und Vereinzelung passen würde.
Was ich damit ausdrücken möchte: Ich hatte Deutschland angenehmer in Erinnerung.