Es ist ein offenes Geheimnis: Wir werden das 1,5-Grad-Ziel verfehlen. Und vermutlich irgendwo zwischen zwei und drei Grad Erderhitzung landen.
Mit dieser Erkenntnis geht ein „Vibe Shift“ einher, der in den letzten Wochen zumindest publizistisch deutlich zu erkennen ist. „Beyond Catastrophe – A New Climate Reality Is Coming Into View“ heißt die lange Geschichte, die David Wallace-Wells im New York Times Magazine veröffentlicht hat Sein Argument, unterfüttert von diversen Klimaforschern: Es wird schlimm, aber es gibt Anpassungsmöglichkeiten. Was nicht gleichbedeutend damit ist, denn jetzigen Pfad zu verlassen:
„Signs of optimism are not arguments for complacency — quite the opposite, because the new range of expectations is not just a marker of how much has changed over the last five years but of how much might over the next five, the next 25 or the next 50.“
Der Economist hat in seiner vergangenen Ausgabe das 1,5-Grad-Ziel ebenfalls aufgegeben. Und hat ein ganzes Themenpaket dem Thema „Klima-Anpassung“ gewidmet. Auf der Erde, aber auch durch Geo-Engineering der Stratosphäre.
Dieser Schwenk ist etwas heikel: Der Anpassung höhere Relevanz zu geben, kann auch dazu verführen, die CO2-Vermeidung aufzugeben oder dort (noch mehr) nachzulassen. Oder die Finanzierung von CO2-Vermeidung gegen die (hohen) Klima-Anpassungskosten auszuspielen. Aber das wollen auch die meisten derjenigen nicht, die der Mammutaufgabe Anpassung zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen wollen.
Die nächsten Jahrzehnte werden brutal, für viele Lebewesen, auf unterschiedlichste Weise. Sich das einzugestehen, es sich nicht nur vor Augen zu hören, sondern es zu umfassen – und damit leben zu lernen, ohne politischen Klima-Realismus als Deckmäntelchen für Bequemlichkeit zu missbrauchen: Das ist die große Aufgabe.
Und es ist auch eine spirituelle Herausforderung. Der letzte Essay-Band des 2020 verstorbenen US-Autors Barry Lopez, der sich viel mit unserem Verhältnis zur Natur auseinander gesetzt hat, trägt den Titel: „Embrace Fearlessly the Burning World“ – Umarme unerschrocken diese brennende Welt. Diese Aufforderung umreißt unsere Aufgabe. Denn in den kommenden Jahrzehnten wird es nicht nur um CO2-Vermeidung und Klima-Anpassung gehen. Sondern auch darum, die Empathie in uns nicht absterben zu lassen.
Mehr Notizen in meinem Microblog (micro.kopfzeiler.org).