Die Medienbranche hierzulande, verliebt in die Paywall-Euros und blind für die sinkende Relevanz von Legacy-Marken in der Generationen unter 40, kann die Signale noch nicht deuten.
Doch der Kahlschlag bei Gruner + Jahr und Springers Schrumpfung von Bild und Welt markieren im deutschsprachigen Medienraum nicht den Übergang vom Alten ins Neue. Sondern signalisieren das Zurück zum Niedergang.
Der Beginn des Jahrzehnts war von drei positiven Trends geprägt:
Eine zwischenzeitlich erhöhte Mediennutzungszeit im Zuge der Pandemie.
Der Ausbau von Audio-Angeboten in den Verlagshäusern, teilweise quersubventioniert von Akteuren wie Spotify.
Gute Wachstums- beziehungsweise Wachstumsnachholraten bei medialen Bezahlangeboten, verbunden mit optimistischen Abo-Prognosen für den Rest der 2020er.
Keiner dieser Trends ist von Dauer. Beziehungsweise, in Richtung Geld gewendet: Das digitale Wachstum wird ohne Querfinanzierung durch neue Geschäftsfelder absehbar nicht ausreichen, größere Teile des Betriebs zu refinanzieren. Dass die Papierprodukte in Produktion und Zustellung deutlich teurer geworden sind, verschärft das Problem sogar noch.
Das findet zu einer Zeit statt, in der sich Identitätsmarker und Interessen möglicher Kunden weiter in Richtung Nischen ausdifferenzieren. Die aber im deutschsprachigen Markt bis auf einige Ausnahmen kaum so zu bedienen sind, dass es sich lohnt. Die Expansionsstrategie Springers in die USA entspringt eben auch dem Bewusstsein, dass Englisch ein globales Publikum erschließt und sich von dort Marken bei entsprechender Bekanntheit am ehesten internationalisieren lassen. There is no international Welt.
Das alles findet aber auch auf einer Bühne statt, die sich gerade stark verändert. Social Media ist im Umschwung, das Such-Paradigma könnte sich durch KI-Assistenzsysteme so stark verändern, dass bisherige SEO-Strategien in den Papierkorb wandern können. Und weiterhin gilt: Wir leben in einer Welt des (beinahe) unendlichen Contents, in der die klassischen Medienmarken keinerlei Form von Vertriebs- oder sonstiger Exklusivität besitzen.
Was daraus folgt? Es wird weitergehen mit der Konsolidierung. Fusionen, Zentralredaktionen, mittelfristig die Auslagerung von Content-Produktionsschritten an KI-Software. Die leider nicht dazu führen wird, dass sich Journalistinnen und Journalisten auf das Wesentliche konzentrieren können. Recherchezeit bleibt Luxus, der Fokus auf die Abbildung digitaler Spuren und Narrative wird noch einmal intensiviert. Was nicht zur Glaubwürdigkeit beitragen wird.
Nachdem Journalismus in den vergangenen Jahren sogar an einigen Stellen ein Nachfragemarkt war, geht nun das Spiel „Reise nach Jerusalem“ unter verschärften Bedingungen weiter. Wohl denen, die sich auf Funktionsposten unersetzlich gemacht haben.
Früher hätte ich an dieser Stelle einen Appell formuliert, die Digitalisierung ernster zu nehmen und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Aus zwei Gründen tue ich das nicht: Die meisten Medienhäuser haben sich letztlich redaktionell gegen wirkliche Veränderungen entschieden, sondern Change-Prozesse in die Hände von Legacy-Abteilungen gegeben. Online-Only-Vertikalen werden oft von separaten Abteilungen oder Dienstleistern aufgebaut, weil das innerhalb der Redaktionen gar nicht möglich wäre. Offiziell oder informell. Damit gibt Print- und Print-Denke die weitere Entwicklung vor.
Der zweite Grund: Es ist und bleibt verdammt schwierig, mit Content – speziell Text-Content – Geld zu verdienen. Natürlich hätte ich Ideen, welche Schwerpunkte, Nischen und Unverwechselbarkeiten man aufbauen könnte. Ein dritter Weg zwischen reinem Nachrichtenjournalismus und Identitätscontent, der letztlich erwartbar die Haltungen und Vorurteile der Zielgruppe bedient. Aber ich habe keine Ahnung, ob ein solcher Weg vielversprechend wäre.
So bleibt nur die Hoffnung, dass ich mich täusche und alles irgendwie – entgegen dessen, was wir über den digitalen Medienwandel gelernt haben – weiter funktioniert. Dass dieser Text ein Kassandraruf ist, der sich tatsächlich als falsch entpuppt. Dass Deutschland und sein Interesse an Journalismus groß genug ist, neben den Öffentlich-Rechtlichen auch ein halbwegs funktionierendes privates Mediensystem zu finanzieren. Und wenn nicht: Dass wir zumindest die Teile des Journalismus retten, die erhaltenswert sind.
Das alles wünsche ich mir natürlich auch aus persönlichen Gründen. In zweieinhalb Jahren läuft mein aktueller Vertrag aus. Und ich möchte nur in einem Journalismus bleiben, in dem ich einen Platz finde, an dem ich so gut es geht ein seriöses Handwerk betreiben kann.
[…] Verlinkt: Seien wir mal ehrlich […]
In Hamburg hatte es Burda bereits Ende des letzten Jahrzehnts vorgemacht und die Titel der ehemaligen Verlagsgruppe Milchstrasse redaktionell entkernt und nur noch als „Marke“ weitergeführt. Selbst Tanker wie TV Spielfilm mussten so bei Funke anlegen. Das hätte den Leuten bei G+J bereits eine Warnung sein können, denn dass die großen Fische – hier Burda, da Bertelsmann/RTL – die kleineren Fische – hier Milchstrasse, da G+J – fressen würden, ist ja nicht nur im hanseatischen Raum Marktgesetz. Auf die Verlage ist letztlich kein Verlass, ist eine Lehre aus diesen Vorgängen. Vielleicht auch, weil es keine Verleger mehr gibt. Der Journalismus wird die Nische suchen müssen, kleine Boote statt dicker Tanker.
@kid37: In der Tat. Allerdings ist das mit den kleinen Booten nicht so einfach im deutschen Sprachraum.
P.S. Sehe inzwischen eine 50+ Prozent Chance, dass auch die Bild im Laufe des Jahrzehnts bei Funke landet.