Es mag hippiesk klingen, aber ich finde das einfach furchtbar logisch: Wir können eigentlich die Motivation für sämtlichen menschlichen Handlungen, sofern sie nach außen gerichtet sind, aus einem einzigen Wunsch ableiten – wir wollen gesehen werden. Und zwar am liebsten so, wie wir uns uns selbst als Idealbild vorstellen.
Und ich würde sogar noch weiter gehen: Verknüpft man diese Erkenntnis mit der Theorie der „Elite Overproduction“ (zu viele gut ausgebildete Menschen kämpfen um eine schrumpfende Anzahl von Jobs), dann haben wir eine Erklärung für die verbreitete Unzufriedenheit, die Attraktivität von Populismus und die Radikalisierung auf den gängigen Kommunikationskanälen.
Aber, um bei der Sache zu bleiben: „Gesehen zu werden“, und zwar im Umriss des eigenen Selbstbildes, ist ein fast unerreichbares Ziel. Denn kommunikative Hindernisse, Hemmungen, soziale Normen oder die Grenzen von Sprache und Körperkommunikation, ja letztlich der Unterschied zwischen Ideal und Handlung stehen zwischen uns und der Welt. Selbst wenn Fremd- und Selbstbild halbwegs im Einklang miteinander stehen, sind wir nur ein Schatten, der im Lichte des Feuers an der Höhlenwand zu sehen ist.
Colm Tóibín hat es in einem Essay über Fernando Pessoa, dessen „Buch der Unruhe“ sich um genau dieses Dilemma dreht, viel besser als ich beschrieben:
„Wir alle, in unserer Menschlichkeit und unserem gelebten Leben, sind nichts als die Karikaturen unserer Seele. Wir sind immer weniger als wir sind. Wir bleiben immer eine groteske Übersetzung dessen, was wir gerne wären, und dessen was wir tief drinnen und wirklich sind.“
Bei der Wucht dieser Erkenntnis kann einem schwindelig werden. Ich glaube aber wirklich, vielleicht auch wieder etwas hippiesk: Wenn wir diese Wucht einander eingestehen könnten, würde die Welt zu einem friedlicheren Ort werden.
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Das Festhalten am eigenen Ich-Bild ist auch ein Anhaftung an das zähe Ego. Daraus entstehen Sichtweisen, die andere ausschließt weil das zähe Ego andere Sichtweisen nicht zulassen kann. Ich bin Dir, die Welt wäre ein friedlicher Ort wenn wir lernen innerlich mehr davon loszulassen.