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Wieviel Scruton verträgt der deutsche Konservatismus?

Ich bin auf das CDU-Grundsatzprogramm durchaus gespannt. Allerdings werden weder ein Programm noch Friedrich Merz darüber entscheiden, wohin sich der deutsche Konservatismus entwickelt. Ich denke, dass sich das je nach Personal, Strömungen und politischer Lage erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts entscheiden wird.

Adrian Woolridge hat in dieser Woche daran erinnert, welch prägende Figur der britische Philosoph Roger Scruton für den reaktionären Teil des europäischen Konservatismus (Meloni, Orban) ist.

Ich selber habe mich während meiner Zeit in den USA ein bisschen mit Scruton auseinandergesetzt. Sein Konservatismus ist prinzipiell durchaus faszinierend: Er lehnt den Thatcherismus als freies Spiel des Marktes ebenso ab wie linke Idee des starken Staates – beide führten letztlich zu einer Technokratisierung, die den Menschen schade. Auch seine Ablehnung des Multikulturalismus drückte keinen fehlenden Respekt vor anderen Kulturen aus, sondern die Angst vor einer Verschmelzung aller Ideologien zu einer einzigen dominierenden progressiven Ideenwelt. Sein Idealbild der “Oikophilie” sieht Liebe und Verantwortung für das nähere Umfeld vor (die Familie, die Nachbarn, die Gemeinde) und hat damit durchaus Anknüpfungspunkte an linke “Folk Politics”. Die Bewahrung des Existierenden schloss bei ihm selbstverständlich Natur- und Klimaschutz ein. Und er konnte sich für die Fuchsjagd aussprechen und gleichzeitig industrielles Schlachten ablehnen (man merkt, er war Engländer).

Leider hat er zeitlebens so viel geschrieben, dass man sich seinen Scruton heraussuchen konnte. Teilweise fand sich innerhalb eines Textes die klügste Idee neben der reaktionärsten Banalität. Gerade die älteren Werke verteidigen Homophobie und Fremdenfeindlichkeit. Entsprechend ist es kein Wunder, dass sich nun die Autoritäreren unter den Konservativen auf ihn berufen können.

Ich persönlich finde das durchaus bedauerlich. Denn ein moderner Konservatismus könnte auch in Deutschland von Scruton durchaus lernen. Nicht vom Kulturkämpfer, der er teilweise war (zu dem er aber auch gemacht wurde). Sondern von dem Scruton, der gesellschaftliche Veränderung nicht ablehnte, sie aber stets in Einklang bringen wollte mit der Verantwortung der Lebenden füreinander und für das Erbe derjenigen, die vor ihnen kamen und derer, die noch kommen werden. Andrew Koppelman hat das so zusammengefasst:

“Conservatism at its core, as Roger Scruton understands it, “tells us that we have collectively inherited good things that we must strive to keep”. It “starts from a sentiment that all mature people can readily share: the sentiment that good things are easily destroyed, but not easily created”. Our inheritance “brings with it not only the rights of ownership, but duties of trusteeship. Things fought for and died for should not be idly squandered. For they are the property of others, who are not yet born””

An Scruton lässt sich auch der innere Grundkonflikt des Konservatismus skizzieren: Die Gefahr des Umschlags ins Reaktionäre. Tradition und Verortung als Bollwerk gegen alles, was von außen kommt – ob es “das Fremde” in Gestalt der “Anderen” oder der Veränderung ist.

Dieser Text erscheint auch im Kuhnletter.

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